Im Gespräch mit Kerstin Stromberg-Mallmann, Geschäftsführerin bei Talking Bridges GmbH

Kerstin Stromberg-Mallmann ist Leiterin der Deutschen Moderatorenakademie und Geschäftsführerin von Talking Bridges. Kommunikation ist ihre große Leidenschaft und ihr Ziel ist es, durch Sprache Brücken zu bauen. Neben ihrer Tätigkeit als Profimoderatorin auf großen Bühnen ist sie Trainerin und Coach und bildet moderationsbegeisterte Menschen für eine professionelle Live-Moderation aus.

Wie gestaltet sich Ihr Arbeitstag und was ist das besonders Spannende an Ihrem Job?

Kerstin Stromberg-Mallmann: Meine Arbeit ist sehr abwechslungsreich, das macht sie für mich so besonders. In dem Sinne habe ich auch keinen klassischen Arbeitsalltag. Mich begeistert es, mit vielen unterschiedlichen Menschen zu arbeiten. Dadurch tauche ich in unterschiedliche Lebenswelten ein und lerne täglich Neues. Beispielsweise kann mein Tag so aussehen, dass ich durch eine spannende Veranstaltung führe, an einem anderen Tag eine Moderation in Vorgesprächen vorbereite oder mir hilfreiche Übungen für die Teilnehmenden unsere Seminare überlege. Es ist einfach sehr spannend und vielfältig.

Sie waren für viele Jahre als Referentin in Bundesministerien verbeamtet und sind nun mit Ihrem Unternehmen und als Moderatorin selbstständig. Wie lauten Ihre drei Karriere-Tipps für Frauen, die sich ebenfalls selbstständig machen wollen?

Kerstin Stromberg-Mallmann: In die Selbstständigkeit zu gehen, war für mich ein Riesenschritt, denn ich habe damit ein Höchstmaß an Sicherheit aufgegeben. Das habe ich nicht einfach so gemacht, sondern es war ein innerer Prozess. Daher ist mein erster Tipp: geht Schritt für Schritt in die Umsetzung. Ich habe meine Selbstständigkeit nebenberuflich aufgebaut und bereits während meiner Zeit im Ministerium moderiert. Damit konnte der Prozess stetig wachsen und ich wurde immer sicherer, mich selbstständig machen zu wollen. Der zweite Tipp: sucht euch Menschen, die euch bei diesem Weg unterstützen, ermutigen und Kraft geben. Das heißt keine Zweifler, keine Bedenkenträger, die eure Idee im Keim ersticken, sondern Menschen, die sehen was in euch steckt und euch darin bestärken. Und mein letzter und wichtigster Tipp: hört auf euer Herz. Macht euch mit etwas selbstständig, wofür ihr brennt und euch begeistert. Bei dem ihr das Gefühl habt, einen positiven Beitrag für die Welt zu leisten.

Sie sind als Moderatorin und Speakerin auf vielen Events präsent. Sind Frauen auf der Bühne weiterhin unterrepräsentiert oder nehmen Sie auch Veränderungen wahr?  

Kerstin Stromberg-Mallmann: Es ist sehr branchenabhängig. Wenn ich als Moderatorin im Bildungsbereich moderiere, sind hauptsächlich Frauen auf der Bühne. Wenn wir über Themen wie Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Infrastrukturausbau und Wirtschaftspolitik sprechen, ist es nach wie vor sehr männerdominiert. Ich nehme aber auch Veränderungen wahr. Viele Veranstalter wollen inzwischen gerne mehr Frauen auf der Bühne sehen und wählen ihre Diskussionsteilnehmer:innen danach aus. Es gibt Panellisten, die nur teilnehmen, wenn auch eine Frau vertreten ist. Ich nehme auch wahr, dass eine junge, selbstbewusste Generation kommt, die sich auf der Bühne positionieren will. Insofern hat die Veränderung bereits begonnen und sie geht stetig weiter.

Sucht euch Menschen, die euch bei diesem Weg unterstützen, ermutigen und Kraft geben.

Durch Ihre eigene langjährige Erfahrung, was kann Frauen helfen, sich besser auf einer männlich dominierten Bühne zu positionieren?

Kerstin Stromberg-Mallmann: Mein wichtigster Tipp ist: gute Vorbereitung! Sie gibt uns Sicherheit und Souveränität. Es gilt sowohl für das Inhaltliche als auch für das WIE, also für Auftritt und Wirkung auf der Bühne. Das heißt üben, üben, üben. Sich damit den eigenen Stärken bewusst werden. Positives Feedback zu bekommen ist dafür ebenfalls entscheidend. In meinen Coachings merke ich häufig, dass Frauen tendenziell kritischer mit sich selbst umgehen als Männer. Männer sind der Ansicht, bereits viele Erwartungen zu erfüllen, während Frauen stärker ihr Weiterentwicklungspotenzial sehen. Das ist einerseits gut, weil wir besser werden wollen. Wir Frauen sollten gleichzeitig unsere innere Kritikerin zu unserer inneren Mentorin machen. Das bedeutet: statt auf das zu schauen, was wir noch nicht können, sollten wir  zuversichtlich auf die Bühne gehen. Wir sollten an uns glauben, unsere Stärken sehen und unseren Fokus darauflegen, was wir alles können. Das strahlen wir dann auch nach außen aus.

Wir sollten an uns glauben, unsere Stärken sehen und unseren Fokus darauflegen, was wir alles können.

Gibt es auch Tipps, die Frauen in der Situation auf der Bühne beachten können? Wie kann man bei unangenehmen Situationen souverän reagieren? 

Kerstin Stromberg-Mallmann: Wie bereits erwähnt, ist es wichtig, mit einer inneren Mentorin und einem Selbstbewusstsein auf die Bühne zu gehen. Sich selbst zuzureden, dass man einen wertvollen Beitrag leistet und gut auftreten wird. Auch unsere Körpersprache ist sehr entscheidend. Das heißt aufrechter Stand, aufrechte Haltung und dem Publikum zugewandt sein.

In einer unangenehmen Situation ist mein erster Tipp: ausatmen. Das Ganze nicht persönlich nehmen und eine offene Frage stellen oder Feedback geben. Den Ball damit zurückspielen und den anderen spiegeln. Die Kür ist, dass wir durch aktives Zuhören die Emotionen des anderen offenlegen und transportieren: „Ich habe den Eindruck, Sie sind sehr aufgebracht. Das Thema macht Sie anscheinend richtig wütend.“, oder „Sie sprechen sehr laut, das empfinde ich als unangenehm. Ist es das, was Sie beabsichtigen?“ Dies kann helfen, den Gesprächspartner runterzubringen. Daher ist meine goldene Lebensregel, sagen was ist und Feedback geben. 

Sie hatten bereits kurz die Rolle des Veranstalters angesprochen. Gibt es konkrete Maßnahmen, die Veranstalter nutzen können, um mehr Frauen als Moderatorin oder Speakerin zu gewinnen und sie besser zu positionieren?  

Kerstin Stromberg-Mallmann: Ich bin überzeugt, es gibt genug tolle Expertinnen, die bereit sind auf die Bühne zu gehen. Dafür braucht es meines Erachtens die Bereitschaft der Veranstalter bei der Suche nach geeigneten Speakerinnen nicht ausschließlich auf oberste Hierarchiestufe zu suchen. Muss es immer der Geschäftsführer sein oder kann nicht auch die Bereichsleiterin als Expertin auftreten?

Die Veranstalter können sich bewusst auf Plattformen nach Speakerinnen umsehen und sollten ihre Kontakte nutzen. Sie müssen das innere Mindset haben und es sich als konkretes Ziel vornehmen mehr Frauen auf die Bühne bringen zu wollen. Vor Ort sehe ich dann weniger den Veranstalter und mehr die Moderation in der Verantwortung. Ich habe den Eindruck, dass Frauen tendenziell kürzer und weniger Raum einnehmend sprechen. Die Konsequenz ist, dass ich als Moderatorin explizit darauf achte, dass der Redeanteil von allen Teilnehmenden ähnlich groß ist und die Anzahl der Fragen dahingehend ausrichte.

Bei Talking Bridges ist Ihr Ziel, durch Kommunikation Brücken zu bauen. Dafür bieten Sie verschiedene Coachings und Trainings an. Wie sehen diese Coachings aus und wie können diese den Teilnehmenden helfen?

Kerstin Stromberg-Mallmann: Unsere Seminare und Coachings sind sehr interaktiv, mit vielen praktischen Übungen. Alle Teilnehmenden bekommen individuelles, wertschätzendes Feedback und viel Raum für ihre Fragen. Ein besonderes Highlight ist die VR-Brille, mit der die Teilnehmenden vor 10, 250 oder 500 Menschen sprechen. Dadurch wird ein Gefühl für die Situation vermittelt. Die verbaute KI gibt direkt Feedback über die Schnelligkeit und Art des Sprechens sowie Nutzung von Füllwörtern.

Durchweg alle Teilnehmenden fühlen sich durch unsere Seminare gestärkt und sicherer in Gesprächssituationen und auf der Bühne. Immer wieder höre ich, dass sich die Qualität der Beziehungen zu anderen Menschen verbessert hat, primär durch das aktive Zuhören. Unsere Angebote helfen, ein stärkeres Bewusstsein für die Kommunikationsfacetten zu bekommen. Wir möchten dabei unterstützen, sich selbst und die eigenen Stärken sowie Schwächen besser zu reflektieren. Somit können wir Weiterentwicklungspotenziale identifizieren und an uns arbeiten.

Wir bieten unsere Formate für alle Geschlechter und Hierarchiestufen an. Dabei ist unser Ziel, dass Frauen und Männer konstruktiv zusammenarbeiten und sich gemeinsam stärken. Denn Studien zeigen immer wieder, dass gemischte Teams am besten performen.

Dabei ist unser Ziel, dass Frauen und Männer konstruktiv zusammenarbeiten und sich gemeinsam stärken. Denn Studien zeigen immer wieder, dass gemischte Teams am besten performen.

Für Frauen haben Sie das Seminar Female Empowerment konzipiert. Wie kann es Frauen in ihrem Karriereweg unterstützen?

Kerstin Stromberg-Mallmann: In diesem Seminar gehen wir auf die Unterschiede von männlicher und weiblicher Kommunikation ein und überlegen, welche Rückschlüsse wir daraus ziehen können. Es geht sehr stark um Auftritt und Wirkung mit praktischen Übungen. Ganz wichtig ist das Themenfeld innere Haltung. Wie gehe ich mit mir um, wie sehe ich mich im Vergleich zu anderen? Bin ich eher unterwürfig, werte ich ab oder gehe ich mit einer „Du bist o.k. – ich bin o.k.“ Haltung in Gespräche, ja sogar durchs Leben? Dabei arbeiten wir mit vielen Fallbeispielen. Denn Frauen erleben weiterhin Situationen, in denen sie nicht ernst genommen oder abgewertet werden. Wir möchten ihnen dafür eine Toolbox an die Hand geben, um damit zukünftig souveräner und gestärkt umgehen zu können. Das Seminar hilft, sich auszutauschen und zu erkennen, dass sie mit solchen Herausforderungen nicht alleinstehen. Unser Ziel ist es, die innere Kritikerin zu einer Unterstützerin zu verwandeln. Wenn wir eine positive Einstellung und ein sicheres Auftreten entwickeln, bin ich davon überzeugt, dass uns diese Souveränität von anderen wieder entgegengebracht wird. Wir müssen demnach einen Perspektivwechsel vornehmen und das negative und kritische Denken umwandeln. Insbesondere auf der Bühne und generell in beruflichen Situationen.

Wenn wir eine positive Einstellung und ein sicheres Auftreten entwickeln, bin ich davon überzeugt, dass uns diese Souveränität von anderen wieder entgegengebracht wird.

Haben Sie drei goldene Ratschläge, um sich stärker im Berufsleben zu positionieren?

Kerstin Stromberg-Mallmann: Um sich als Frau stärker zu positionieren, habe ich drei Tipps: Erstens solltet ihr euch gegenseitig empowern, stark machen und miteinander netzwerken. Dies kann eben sehr gut über Feedback funktionieren. Zweitens versteht euch als Gestalterin und agiert proaktiv. Und das Dritte ist Sichtbarkeit. Tretet als Expertin und Moderatorin auf und nehmt euren Raum in Meetings und auf der Bühne bewusst ein.

Vielen herzlichen Dank für Ihre Zeit und Ihr Mitwirken in unserer Interview-Reihe!

Das Interview führte Jill Kommoß

Im Gespräch mit Dr. Claus van der Velden, kaufmännischer Geschäftsführer bei NetCologne Gesellschaft für Telekommunikation mbH

Dr. Claus van der Velden verantwortet als kaufmännischer Geschäftsführer die Bereiche Controlling, Rechnungswesen, Personal sowie Einkauf und Recht & Regulierung bei NetCologne. Das Telekommunikationsunternehmen hat sich die Förderung von Vielfalt und insbesondere die Gleichstellung von Frauen und Männern zum Ziel gesetzt. NetCologne möchte durch verschiedene Maßnahmen und Rahmenbedingungen die Einstiegs-, Entwicklungs- und Aufstiegschancen von Frauen in der historisch immer noch sehr männlich geprägten Telekommunikationswelt fördern.  

Ihr Unternehmen ist tief in der hiesigen Kultur verwurzelt und zeigt ein hohes Engagement. Was macht die Region für Sie so besonders und wie fördern Sie diese?

Dr. Claus van der Velden: Köln ist bekanntlich die schönste Stadt der Welt. Auf jeden Fall ist die Stadt sehr lebenswert und weltoffen. Und es sind vor allem die Menschen, die unsere Stadt und das gesamte Rheinland ausmachen.

Eine maßgebende Ausprägung für die besondere Lebensart und Lebensfreude im Rheinland ist der Karneval. Deshalb unterstützen wir gerne verschiedene Vereine in der Brauchtumspflege. Wir engagieren uns darüber hinaus in weiteren gesellschaftlichen Feldern wie Bildung, Sport und Kultur.

Dieses Jahr haben wir außerdem mit einer großen Gruppe von Kolleginnen und Kollegen am Kölner Christopher Street Day, einer Demonstration für die Rechte queerer Menschen in unserer Gesellschaft,  teilgenommen. Dabei hat es mich besonders gefreut, dass die Initiative aus der Mitte der Organisation kam und von Mitarbeitenden aus allen Bereichen des Unternehmens initiiert und organisiert worden ist. Wir finden es unglaublich schön zu sehen, wie eigenmotiviert und engagiert unser Team ist. Genau diese Werte wollen wir leben und verkörpern.

Sie beteiligen sich intensiv an der Digitalisierung der Schulen im Raum Köln/ Bonn. Stichwort „Education Services“: Wie sieht dieses Konzept aus und warum ist es so wichtig?

Dr. Claus van der Velden: Im Auftrag der Stadt Köln betreuen wir die IT-Infrastruktur der Kölner Schulen und bieten ein 360-Grad-Leistungspaket für das digitale Lernen an. Neben einem zentralen Identity-Management und umfänglichen Cloud-Lösungen übernehmen wir die zentrale Geräteverwaltung inklusive Einrichtung und Wartung von etwa hunderttausend Geräten. Und auch die notwendige Infrastruktur der Schulgebäude selbst liefern wir. Rund 8.000 WLAN-Accesspoints sind in den Kölner Schulen verbaut und an unser Glasfaserinternet angeschlossen. Damit ist die Stadt Köln Vorreiter und wir sind stolz, dieses Thema weiter mit voranzutreiben.

Denn vor allem weibliche Fachkräfte sind in den MINT-Berufen nach wie vor unterrepräsentiert. Das zu ändern, sehe ich als eine wichtige gesellschaftliche und bildungspolitische Aufgabe, denn Rollenbilder werden oft bereits früh durch das eigene Elternhaus und die Schule geprägt. Initiativen wie diese bieten Kindern die Chance, schon früh den Zugang zu digitalen Technologien und Themen zu finden und dadurch ihr Interesse für diese Bereiche zu wecken. Das kann außerdem helfen, Stereotype aufzubrechen und mehr Mädchen früh für technische Berufe zu begeistern.

Weibliche Fachkräfte sind in den MINT-Berufen nach wie vor deutlich unterrepräsentiert.

Wie ist die Tech-Branche in Bezug auf weibliche Fachkräfte aufgestellt und welche Entwicklung ist zu beobachten?

Dr. Claus van der Velden: Die Zahlen sprechen für sich –  es gibt noch viel zu tun. Bei NetCologne liegt der Anteil an Frauen bei 28 Prozent, womit wir knapp über dem Branchendurchschnitt liegen. In den letzten Jahren ist  eine positive Entwicklung zu beobachten, dennoch bleibt die Geschlechterverteilung eine Herausforderung. Viele Unternehmen in der Tech-Branche haben erkannt, dass Veränderungen notwendig sind, um langfristig eine ausgewogenere Verteilung zu erreichen. Ich bin daher zuversichtlich, dass wir in Zukunft eine gerechtere Verteilung der Geschlechter auf allen Hierarchieebenen sehen werden. Und wir leisten dazu unseren gezielten Beitrag.

Im Jahr 2024 haben Sie sich insbesondere auf die Dimension der Chancengleichheit konzentriert. Durch welche Maßnahmen fördern Sie diese und wie versuchen Sie, mehr Frauen für die Tech-Branche zu begeistern?

Dr. Claus van der Velden:  Bausteine unserer Maßnahmen sind beispielsweise unser Frauennetzwerk sowie unsere jährliche Teilnahme am Girl‘s & Boy‘s Day. Doch noch entscheidender finde ich es, die richtigen Rahmenbedingungen für Frauen im Unternehmen zu schaffen. Flexible Arbeitszeiten und Homeoffice-Möglichkeiten sind hier von großer Bedeutung. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Gestaltung von Stellenausschreibungen. Unsere Erfahrung zeigt, dass sich Frauen manchmal selbstkritischer einschätzen als Männer und daher schon die Formulierung einer Stellenausschreibung beeinflussen kann, ob sie sich auf bestimmte Position bewerben. Darüber hinaus achten wir darauf, alle Stellen, die wir ausschreiben, auch in Teilzeit anzubieten – auch für Führungspositionen. Aktuell nutzen dieses Angebot vor allem Frauen, was ein gewisses Licht auf die vorhandenen gesellschaftlichen Strukturen wirft.  

Um den Frauenanteil in Führungspositionen zu erhöhen, müssen wir flexible Arbeitsmodelle und Freiräume schaffen. Dabei ist es entscheidend, dass die Anforderungen und Erwartungen von beiden Seiten – dem Unternehmen und den Kandidatinnen – klar kommuniziert werden.

Es ist  uns außerdem wichtig, das Thema Chancengleichheit regelmäßig im Unternehmen auf die Agenda zu setzen.  Dabei ist es aus meiner Sicht elementar, wenn dies auch von uns als männliche Geschäftsführung aktiv unterstützt  wird. In der Tech-Branche, in der viele Führungspositionen noch von Männern besetzt sind, müssen diese für die Thematik  sensibilisiert werden. Eine geschlechtersensible Ansprache und offene Kommunikation miteinander sind hier Schlüssel.

Außerdem versuchen wir Transparenz in unseren Zahlen zu schaffen. Mit unserem monatlichen HR-Reporting schaffen wir einen klaren Überblick: In welchen Abteilungen arbeiten wie viele Frauen? Wie viele bewerben sich? Wie viele werden eingestellt? Gibt es Auffälligkeiten? Diese Transparenz hilft, das Bewusstsein für Chancengleichheit zu schärfen. Entscheidend ist jedoch, dass dieses Reporting nicht nur auf dem Papier existiert, sondern als Grundlage für den Dialog mit den Führungskräften dient. Nur so können wir echte Veränderung bewirken.  

Um den Frauenanteil in Führungspositionen zu erhöhen, müssen wir flexible Arbeitsmodelle und Freiräume schaffen. Es ist außerdem wichtig, das Thema Chancengleichheit regelmäßig im Unternehmen auf die Agenda zu setzen.

Stichwort „internes Frauennetzwerk“: Welche Vorteile bietet es und haben Sie Tipps, wie in Unternehmen ein solches Netzwerk aufgebaut und gelebt werden kann?

Dr. Claus van der Velden: Unser Frauennetzwerk ist selbstorganisiert und wir als Geschäftsführung bieten lediglich den Raum und die Möglichkeit dafür. Das Netzwerk ist aus einer Initiative der Mitarbeiterinnen entstanden und stößt auf großes Interesse. Da wir zwei männliche Geschäftsführer sind, wäre es aus meiner Sicht nicht zielführend gewesen, das Frauennetzwerk von unserer Seite zu gründen. Wenn ich hier überhaupt einen Tipp geben sollte, dann diesen: Liebe männliche Führungskräfte, mischt euch nicht aktiv ein, sondern schafft die nötigen Freiräume und Möglichkeiten, damit sich ein solches Netzwerk gründen und organisch wachsen kann.

Die Vorteile für das Unternehmen sind eher indirekt, aber dennoch bedeutend. Ein Frauennetzwerk fördert die Motivation und das Engagement der weiblichen Mitarbeiterschaft und macht diese zu aktiven Gestalterinnen einer Unternehmenskultur mit größerer Perspektivenvielfalt. Das ist eines von vielen Puzzleteilen. Mein Eindruck ist, dass die Kolleginnen sehr viel daraus ziehen, aber dazu müssten Sie am besten das Frauennetzwerk mal selbst interviewen.

Ein Frauennetzwerk fördert die Motivation und das Engagement der weiblichen Mitarbeiterschaft und macht diese zu aktiven Gestalterinnen einer Unternehmenskultur mit größerer Perspektivenvielfalt.

NetCologne ist Teil des Kölner Bündnisses „Mit Frauen in Führung“. Was ist dieses Bündnis und wie können Frauen dabei profitieren?

Dr. Claus van der Velden: Das Bündnis besteht aus 17 Unternehmen unterschiedlicher Branchen. Wir profitieren voneinander, weil wir keine direkten Wettbewerber sind und uns so besonders offen austauschen können. Das Hauptziel ist es, den Anteil weiblicher Führungskräfte in den Bündnisunternehmen zu erhöhen und diese in ihren Rollen zu stärken. Besonders hervorzuheben ist dabei das Cross-Mentoring-Programm, bei dem Frauen gezielt von erfahrenen Führungskräften aus anderen Unternehmen begleitet und gefördert werden. So lassen sich neue Perspektiven einnehmen, das eigene Netzwerk erweitern und persönliche Fähigkeiten weiter ausbauen.

Sie nehmen als Mentor am Cross-Mentoring-Programm teil. Wir würden gerne mehr darüber erfahren. Was war Ihre persönliche Motivation, sich einzubringen?

Dr. Claus van der Velden: Das Programm erstreckt sich auf anderthalb Jahre, in denen eine Führungskraft eines Unternehmens als Mentorin bzw. Mentor für eine Mitarbeiterin eines anderen Unternehmens fungiert und sie auf ihrem Karriereweg begleitet. Der Austausch ist dabei sehr offen und flexibel, ohne starre Vorgaben. Die Häufigkeit der Treffen und die Themen richten sich nach den individuellen Bedürfnissen der Mentee. Die Organisatoren geben aber immer wieder Impulse für die individuelle Arbeit der Mentoring-Tandems.

Seit Februar arbeite ich mit meiner Mentee zusammen und wir treffen uns seitdem regelmäßig. Sie hat mich wiederholt hier bei NetCologne besucht und konnte so einen direkten Einblick in meinen Arbeitsalltag gewinnen. Das Programm lebt von einem kontinuierlichen und vor allem vertrauensvollen Austausch sowie ehrlichem gegenseitigen Feedback.

Meine Motivation, mich als Mentor einzubringen, basiert auf meiner Überzeugung, dass  Unternehmen und ganze Branchen von mehr Diversität nur profitieren können. Unterschiedliche Perspektiven bereichern unsere Unternehmenskultur und fördern die Innovationskraft. Aber auch ich profitiere persönlich von dem Austausch mit meiner hochspannenden Tandempartnerin – ich erhalte neue Impulse und lerne frische Sichtweisen kennen, die auch meine eigene Führungsarbeit bereichern. Diese Erfahrungen machen das Programm nicht nur unternehmerisch sinnvoll, sondern auch für mich persönlich sehr bereichernd.

Unterschiedliche Perspektiven bereichern unsere Unternehmenskultur und fördern die Innovationskraft.

Vielen herzlichen Dank für Ihre Zeit und Ihr Mitwirken in unserer Interview-Reihe!

Das Interview führte Jill Kommoß.

Leoni Rossberg

Im Gespräch mit Leoni Rossberg, Co-Founder & Managing Director bei Groundbreaker gGmbH

Seit 2019 setzt sich die gemeinnützige Groundbreaker gGmbH für eine gerechte Verteilung von Ressourcen ein. Durch ihr innovatives Foundation-as-a-Service-Konzept und ein breites Netzwerk an Partnerorganisationen in über 40 Ländern des Globalen Südens macht die Organisation es so einfach und unkompliziert wie möglich, sich für einen guten Zweck zu engagieren. Seit diesem Jahr ermöglicht die Organisation erstmals die Vergabe von Stipendien im Rahmen des Programms Groundbreaker Talents, welches junge Frauen in Uganda in einem praxisnahen, einjährigen Bootcamp zu Software-Entwicklerinnen ausbildet. Ziel ist es, die Qualifikationslücke zwischen gefragten Fachkräften und einer Jugend voller Potenzial zu schließen. Für viele junge Frauen ist dieses Stipendium die einzige Chance auf einen angemessenen Lohn und die Aussicht auf ein selbstbestimmtes Leben. Im Interview mit Leoni Rossberg, Co-Founder & Managing Director bei Groundbreaker gGmbH erfahren wir, wie sie das Programm Groundbreaker Talents in Uganda implementiert.

In Europa ist der Gender-Gap in der Tech-Branche immer noch groß: In europäischen Unternehmen sind nur 22 Prozent* der Tech-Jobs von Frauen besetzt. Wie sieht die Lage in der IT-Branche in afrikanischen Ländern aus?

Das Gleiche gilt leider auch für afrikanische Länder wie z.B. Uganda, wo sich die Kluft zwischen den Geschlechtern in der Technologiebranche sogar vergrößert und Frauen oft in Junior- und Einsteigerpositionen feststecken, was ihre berufliche wie auch persönliche Entwicklung massiv beeinträchtigt. Das Hauptproblem hierbei ist der erschwerte Zugang zu Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, Netzwerken und Mentoring-Programmen.

Zusätzlich zu den 22% Gender-Gap müssen wir auch darüber sprechen, dass nur 3% der Tech-Jobs von schwarzen Frauen besetzt sind. Bei Groundbreaker sind wir überzeugt vom „Diversity Imperative“, also dass Unternehmen mit einer vielfältigen Belegschaft und einer integrativen Arbeitsplatzkultur erfolgreicher und besser für die Zukunft gerüstet sind.

Wir würden gerne mehr über Dein Projekt erfahren. Warum hast Du Dich für Uganda entschieden? Gibt es Erfolgs-Stories von Teilnehmerinnen, von denen Du uns erzählen kannst?

Seit der Gründung von Groundbreaker sind wir verstärkt in der Tech-Welt aktiv. Viele Unternehmen, mit denen wir Gespräche geführt haben, zeigten großes Interesse sich zu engagieren, fragten jedoch wiederholt danach, wie sie ihre Mitarbeitenden aktiv einbinden könnten. Zudem haben wir immer wieder wahrgenommen, wie wenig diversifiziert die Tech-Szene ist.
Mit unserem Stipendienprogramm Groundbreaker Talents verfolgen wir daher das Ziel, jungen Frauen im afrikanischen Raum langfristige Wege aus der Armut zu ermöglichen und gleichzeitig die Talentpipeline diverser zu gestalten. Deshalb sprechen wir auch nicht mehr von Spenden; vielmehr geht es uns um soziale Investitionen in die Ausbildung der richtigen Talente.

Für Uganda sprach vor allem Englisch als Amtssprache und eine ähnliche Zeitzone wie Europa – die besten Voraussetzungen für eine unkomplizierte internationale Zusammenarbeit. Die Tech-Szene in Uganda erlebt momentan einen beeindruckenden Aufschwung, begünstigt durch Investitionen in digitale Infrastrukturen im Rahmen der „Digitalen Agenda 2040″, was zu zahlreichen neuen Stellen im formellen Sektor führt.

Im Juni dieses Jahres startete unsere erste Kohorte und die Erfolge sind bereits deutlich sichtbar. Die Lernfortschritte, die die jungen Frauen bereits nach nur fünf Monaten verzeichnen können, sind beachtlich. Der sogenannte „Residential Approach“, also das Studieren und Wohnen auf einem Campus, zeigt bereits seine Wirkung, obwohl einige von unseren Stipendiatinnen das Training begonnen haben, ohne jemals zuvor Zugang zu einem Computer gehabt zu haben. Es erfüllt uns mit Freude zu beobachten, wie diese jungen Frauen handfeste Fähigkeiten erwerben und gleichzeitig an Selbstvertrauen gewinnen.

Darüber hinaus sehen wir, dass unser Mentoring-Programm mit Tech-Firmen im Globalen Norden einen erheblichen Einfluss hat. Der persönliche Kontakt zwischen Mentor*in und Mentee fördert Offenheit und trägt dazu bei, Barrieren abzubauen. Unser Ziel ist es, Diversität auf beiden Seiten zu fördern und so einen nachhaltigen Einfluss zu erzielen.

Welchen Herausforderungen bist Du während Deinem Projekt begegnet? Wie bist Du damit umgegangen?

Bisher sind erfreulicherweise nur wenige wirkliche Herausforderungen aufgetreten. Unser Team in Uganda ist fantastisch und hoch motiviert. Die Entscheidung, junge Frauen ohne Vorerfahrung und aus finanziell extrem benachteiligten Verhältnissen auszubilden, macht das Programm selbst natürlich schon anspruchsvoll. Gerade zu Beginn gab es unter den Stipendiatinnen viel Überforderung, aber alle haben sich in Resilienz und Geduld geübt. Außerdem gehören Stromausfälle und vorübergehende Internetprobleme leider zum Alltag. Glücklicherweise wird das jedoch bald Geschichte sein, da wir auf unserem neuen Campus ausreichend Generatoren installiert haben.

Es gibt viele tolle humanitäre Organisationen und Projekte, die lokalen Einwohner:innen einen wirklichen Mehrwert bringen. Doch es ist nicht immer einfach sie zu finden. Welche Tipps hast Du für diejenigen, die Interesse an humanitärer Arbeit haben? Worauf muss man bei der Wahl des Projektes achten?

Bevor wir Groundbreaker gegründet haben, habe ich viele Jahre in verschiedenen kleinen und großen Organisationen gearbeitet. Um echten Mehrwert zu generieren, ist es meiner Meinung nach wichtig, lokale Strukturen zu unterstützen. Ich verstehe aber, dass es schwierig ist diese kleinen, lokalen Organisationen zu finden und ihnen dann auch noch einen Vertrauensvorschuss zu geben. Aus dieser Herausforderung entstand die eigentliche Idee für unser Konzept „Foundation-As-A-Service“. Wir wollten es so einfach und unkompliziert wie möglich für motivierte Spender:innen machen, ein tolles Projekt zu finden, das einen nachhaltigen Unterschied macht. Mittlerweile haben wir ein großes Netzwerk an lokalen Initiativen im Globalen Süden in über 40 Ländern und können diese mit den passenden Spender:innen vernetzen. Allgemein würde ich immer Projekte suchen, die keine Abhängigkeiten schaffen und einen nachhaltigen Ansatz vorzeigen können.

Vielen herzlichen Dank für Deine Zeit und Dein Mitwirken in unserer Interview-Reihe!

*Quelle: https://www.mckinsey.com/capabilities/mckinsey-digital/our-insights/women-in-tech-the-best-bet-to-solve-europes-talent-shortage#/

Das Hauptproblem hierbei ist der erschwerte Zugang zu Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, Netzwerken und Mentoring-Programmen.

Die Tech-Szene in Uganda erlebt momentan einen beeindruckenden Aufschwung, begünstigt durch Investitionen in digitale Infrastruktur im Rahmen der „Digitalen Agenda 2040″.

Die Entscheidung, junge Frauen ohne Vorerfahrung und aus finanziell extrem benachteiligten Verhältnissen auszubilden, macht das Programm selbst natürlich schon anspruchsvoll.

Wir wollten es so einfach und unkompliziert wie möglich für motivierte Spender:innen machen, ein tolles Projekt zu finden, das einen nachhaltigen Unterschied macht.

Olga Nevska

Im Gespräch mit Dr. Olga Nevska, Geschäftsführerin der Telekom MobilitySolutions

Olga Nevska ist Geschäftsführerin der Telekom MobilitySolutions, wo sie seit 2019 die Transformation einer der größten Unternehmensflotten zu einem innovativen Mobilitätsprovider verantwortet. Olga steht für Dekarbonisierung, Diversifizierung und Digitalisierung und setzt auf nachhaltige, geteilte Mobilität für alle Mitarbeitenden. Die an der FU Berlin promovierte Wirtschafts- und Rechtswissenschaftlerin ist Gastdozentin an der Universität St. Gallen und wurde 2023 von der Automobilwoche zu einer der TOP-50 Frauen in der Automobilindustrie gewählt


Wie gestaltet sich Ihr Arbeitstag und was ist das besonders Spannende an Ihrem Job?

Dr. Olga Nevska: Mein Job spielt sich an der Schnittstelle zwischen Telekommunikation und Mobilität ab, zwei der am schnellsten wachsenden und sich verändernden Branchen überhaupt. Hier habe ich die Möglichkeit, an innovativen Lösungen mitzuarbeiten, die das Leben der Menschen verbessern und die Art und Weise, wie wir uns fortbewegen, revolutionieren. Ich kann mir zurzeit kaum einen spannenderen Job vorstellen.

Mein Arbeitsalltag gestaltet sich genauso bunt und vielfältig wie die Mobilität der Zukunft. Ich habe ein hohes Maß an Verantwortung, viel Gestaltungsspielraum und täglich mit spannenden neuen Themen und Entwicklungen zu tun. Da sind Selbstorganisation, Struktur und Planung unverzichtbar. Das ist mir sehr wichtig.


Bei der Telekom verantworten Sie die Transformation einer der größten deutschen Unternehmensflotten zu einem innovativen Mobilitätsprovider und treiben die Verkehrswende hin zu einer vernetzten, nachhaltigen und bedarfsgerechten Mobilität voran. Aus Ihrer Sicht als Expertin: Ist die Mobilität der Zukunft in Deutschland schon angekommen? Wo stehen wir aktuell?

Nevska: Deutschland hat eine lange Geschichte in der Automobilindustrie und ist auch beim Thema Verkehrswende besser als sein Ruf. So stehen wir zum Beispiel bei der Elektromobilität im internationalen Vergleich auf Platz sechs, in Europa auf Platz drei (PwC ‚eReadyness-Index‘ 2023). Die Anzahl der Elektrofahrzeuge nimmt zu und das Netz an Ladestationen wird jeden Tag dichter.

Auch geteilte Mobilität wie Carsharing, Fahrradverleih, Mitfahrgelegenheiten werden mehr und mehr genutzt. Und unsere Städte werden smart: Berlin, Hamburg und München gehen schon heute innovative Wege. Intelligente Verkehrsleitsysteme, Echtzeitinformationen über den öffentlichen Nahverkehr und die Förderung von umweltfreundlichen Transportmitteln sind nur einige Beispiele dafür.

Aber das alles reicht nicht aus! Das Verkehrssystem in Deutschland ist fragmentiert und komplex. Die föderale Struktur führt dazu, dass Verkehrsverbünde auf regionaler Ebene organisiert sind. Da erschweren unterschiedliche Tarifsysteme und Ticketstrukturen nicht nur das Reisen, sie behindern auch den Weg zu nachhaltigen, vernetzten Verkehrslösungen. Wichtige Entscheidungen werden viel zu zögerlich getroffen. Wir verzetteln uns leider häufig in Diskussionen, anstatt an einem Zusammenschluss der Kräfte zu arbeiten.

Was wir brauchen, ist eine verstärkte Koordination, Planung und Zusammenarbeit auf nationaler Ebene und eine langfristige Vision für die Verkehrswende. Und wir müssen die Chancen der Digitalisierung konsequenter nutzen.


Wenn wir ins Jahr 2040 schauen, werden wir plattformübergreifende Mobility-as-a-Service-Lösungen bis zur letzten Meile nutzen, in autonomen Shuttles und Pkws unterwegs sein und Nachhaltigkeitsziele im Mobilitätssektor erreichen: Wie sieht Ihre Vision von urbaner Mobilität 2040 aus?

Nevska: 2040 wird Mobilität geprägt sein von Nachhaltigkeit, Effizienz und einer smarten Verkehrsinfrastruktur, die sich laufend neu an die Bedürfnisse der Menschen anpasst. Ich stelle mir vor, dass unsere Innenstädte weitgehend autofrei sind. Dadurch werden sie grüner und die Lebensqualität nimmt zu. Alle wichtigen Orte des Alltags sind zu Fuß oder über gut ausgebaute Fahrrad- und öffentliche Verkehrsnetze erreichbar. Unsere Kinder kennen keinen Pendelverkehr oder Staus in der Rush Hour. Sie werden flexibel von zu Hause aus oder in einem nahegelegenen Coworking-Space arbeiten – oder von geteilten, vernetzten und flexiblen Transportmitteln ans Ziel gebracht. Mobilität wird mithilfe der Digitalisierung die Brücke sein zwischen meinen verschiedenen Lebensbereichen, als Third Place neben dem Zuhause und dem Arbeitsplatz. Fahrten von A nach B sind keine verlorene Zeit mehr, sondern ich kann sie produktiv nutzen. Alle Mobilitätsformen sind nahtlos miteinander verbunden und intelligente Plattformen ermöglichen es uns, unsere Reisen einfach zu planen und verschiedene Transportmittel zu kombinieren. Daran glaube ich. Und vieles davon wird schon vor 2040 Realität werden.


Sie haben nicht nur einen starken Impact auf die Mobilität der Zukunft, sondern auch im Kontext Frauen in Tech. Bei der Telekom haben Sie beispielsweise das interne Frauennetzwerk Power Women gegründet, welches unter anderem wöchentliche Boxtrainings anbietet. Was genau verbirgt sich hinter Power Women und was war Ihre persönliche Motivation ein internes Frauennetzwerk zu gründen?

Nevska: Ich denke, wir alle sollten tun, was in unseren Möglichkeiten liegt, um die Welt jeden Tag ein kleines bisschen besser zu machen. Und damit meine ich wirklich ‚machen‘ statt nur darüber zu reden. Mir ist es ein Anliegen, Frauen im Business zu unterstützen und mit ihnen gemeinsam neue Perspektiven zu entwickeln. Vielleicht weil ich aus einer Welt komme, in der es ganz natürlich ist, dass Frauen in der Berufswelt gleichgestellt sind mit Männern. Deswegen habe ich dieses Netzwerk ins Leben gerufen und freue mich jeden Tag, dass es diese wunderbare Gruppe gibt.

Die Mitgliederinnen von Power Women treffen sich einmal pro Woche zum Boxtraining. Diese regelmäßigen Treffen sind sehr wichtig, denn sie bringen uns als Team einander näher. Boxen erhöht nicht nur die körperliche Fitness, sondern hilft auch beim Stressabbau, erfordert mentale Stärke und Durchhaltevermögen und es stärkt das Selbstbewusstsein. Alles Eigenschaften, die wir täglich im Job sehr gut nutzen können.

Wir begleiten uns aber darüber hinaus auch gegenseitig auf unserem beruflichen Weg. Dafür organisieren wir Workshops und Coachings zu Themen wie Assessment Center, Gehaltsverhandlungen etc. und helfen uns dabei, unser berufliches Vorankommen selbst in die Hand zu nehmen – egal ob in Richtung Chefetage oder in eine Fachkarriere. Ich habe in den vergangenen vier Jahren schon viele Ideen und Inspirationen aus diesem Netzwerk mitgenommen. Aber auch zwei tolle neue Mitarbeiterinnen und schließlich auch Freundschaften.


Frauen sind in der Tech-Branche stark unterrepräsentiert. Das gilt nicht nur für Fachkarrieren, sondern insbesondere auch in Führungspositionen. Im Laufe Ihrer Karriere hatten Sie vielfältige Führungs- und Leitungspositionen inne, Sie sind unter anderem Mitglied des Board of Directors bei T-Mobile Czech Republic. Was sind aus Ihrer Sicht sowohl für Unternehmen wie auch für Frauen selbst geeignete Instrumente, um mehr Vielfalt in Chefetagen von Tech-Unternehmen zu erreichen?

Nevska: Ich wünsche mir, dass wir Frauen laut sagen, dass wir Karriere machen wollen und dass wir dazu stehen. Im Vergleich zu Männern neigen wir häufig dazu, abzuwarten und Chancen vorbeiziehen zu lassen. Wenn wir uns aus dieser Position herausbewegen, wird ganz schnell mehr Vielfalt in die Chefetagen einziehen. Mein Führungsteam zum Beispiel besteht aus drei Frauen und drei Männern in unterschiedlichem Alter und aus vier diversen Herkunftsländern. Warum ist das so? Wir haben es einfach gemacht. Und uns auch nicht davor gescheut, eine Frau zur technischen Leiterin zu machen. Am Ende des Tages ist es keine Frage des Geschlechts, ob jemand eine gute Führungskraft ist, sondern es kommt auf die Fähigkeiten und die Persönlichkeit an.

Auf der anderen Seite wünsche ich mir ein Management, für das es selbstverständlich ist, Positionen aller Art genauso mit Frauen wie auch mit Männern zu besetzen. Wenn das glaubwürdig vorgelebt wird, wird es auch mehr weibliche Bewerberinnen geben. So ist das jedenfalls bei uns, wo zwei Frauen die Geschäftsführung bilden.



Sie haben eine sehr beeindruckende Karriere in der Tech-Branche gemacht, sind 2004 über ein Stipendium des Deutschen Bundestags nach Deutschland gekommen, 2009 als Trainee bei der Telekom gestartet und verantworten heute als CEO der Telekom MobilitySolutions die Transformation der zweitgrößten Firmenflotte Deutschlands zum innovativen Mobilitätsprovider. Das Handelsblatt hat sie jüngst zu einer der 100 Frauen gekürt, die Deutschlands Zukunft maßgeblich gestalten. Welche Eigenschaften oder Fähigkeiten waren in der Retroperspektive für Ihre berufliche Laufbahn besonders hilfreich?

Nevska: Neulich sagte jemand zu mir, ich sei Transformationsoptimistin. Das trifft es vielleicht ganz gut, auch wenn es ein sperriges Wort ist. Was mich ausmacht ist Neugier, Veränderungsbereitschaft, aber auch der Mut, neue Wege zu gehen, ohne dabei das Ziel aus den Augen zu verlieren.

Ich denke, das hängt damit zusammen, dass ich in meiner Kindheit und Jugend immer wieder Veränderungen bewältigen und mich neu erfinden musste. Ich komme aus der Ukraine und bin somit bis ich 13 Jahre alt war in der Sowjetunion aufgewachsen, in einem Land also, das es heute gar nicht mehr gibt. Die vielen unfreiwilligen Veränderungen haben mich geprägt und ich habe gelernt, dass diese immer auch Chancen mit sich bringen, mich weiterzuentwickeln, neue Fähigkeiten zu erlernen und etwas für die Gesellschaft zu tun. Vielleicht hat mich all das gelehrt, an mich zu glauben und mit Optimismus durchs Leben zu gehen. Mit 25 bin ich schließlich nach Deutschland aufgebrochen und habe nach vielen unfreiwilligen einen freiwilligen Neuanfang gewagt.


Wir geben Ihnen jetzt mal einen weiteren interessanten Job und machen Sie zur Chefredakteurin eines Leitmediums der New York Times oder zum Host Ihres Lieblings-Podcast oder TV-Show mit Mega-Reichweite: Sie dürfen einladen, wen Sie möchten – egal ob tot oder lebendig. Mit wem sprechen Sie und über was?

Nevska: Ich würde Greta Gerwig einladen, die derzeit erfolgreichste Filmregisseurin Hollywoods. In ihrem Film Barbie hat sie gerade auf wunderbar ironische und provokante Weise die Frage zur Rolle der Frau in der modernen Gesellschaft auf die Leinwand gebracht. Mit ihr würde ich gerne über die Parallelen zwischen der Tech-Industrie und der Filmbranche sprechen. Ich denke, da gäbe es viel zu sagen.


Im Rahmen unserer Interview-Reihe haben wir jüngst mit Kim Dressendörfer, Senior Account Technical Leader bei IBM in New York, gesprochen. Sie hat uns folgende Frage für die nächste Interview-Partnerin mitgegeben: „In meinen Gesprächen mit Frauen aus der Tech-Branche stellt sich sehr häufig heraus: Keine hat damit gerechnet, dass sie in dieser Branche landet. Daher lautet meine Frage: Wann hast du realisiert, dass es die Tech-Branche ist, in der du arbeiten möchtest?“

Nevska: Diese Frage hat sich mir nie gestellt. Mir ging es nicht um eine bewusste Entscheidung für die Tech-Branche, sondern um Erneuerung. Ich wollte einfach immer da sein, wo ich etwas bewegen kann. Und das kann ich in der Telco-Industrie, denn sie ist keine statische Branche, sondern befindet sich im ständigen Wandel und hat einen enormen gesellschaftlichen Impact.

In meiner Heimat war es im übrigen ganz normal, dass ich Telekommunikationstechnik studierte oder mich in der Politik engagierte. Ich wünschte, wir würden uns in Deutschland endlich auch von all diesen Mädchen/Jungen-Clichées verabschieden. Ich jedenfalls versuche jeden Tag, meiner Tochter mitzugeben, dass sie in einer freien Welt die Wahl hat, zu tun, was ihr gefällt.


Wir möchten gerne auch Ihre Aspekte und Fragen in die Diversity-Debatte einbringen. Welche Frage möchten Sie uns in diesem Zusammenhang für die nächste Interview-Partner:in mitgeben?

Nevska: Wir diskutieren immer wieder darüber, was Frauen ändern oder anders machen sollen, um ihre Rolle in der Tech-Branche oder in Führungspositionen aktiver zu gestalten.

Ich würde viel lieber gerne fragen, welche Stellschrauben wir in der Gesellschaft betätigen können, damit Frauen in der Tech-Industrie oder in den Führungsetagen endlich zur Normalität werden? Meiner Meinung nach liegt die Ursache nämlich nicht bei den Frauen selbst, sondern in den Strukturen unserer Gesellschaft.

Deutschland hat eine lange Geschichte in der Automobilindustrie und ist auch beim Thema Verkehrswende besser als sein Ruf.

Mobilität wird mithilfe der Digitalisierung die Brücke sein zwischen meinen verschiedenen Lebensbereichen, als Third Place neben dem Zuhause und dem Arbeitsplatz.

Mir ist es ein Anliegen, Frauen im Business zu unterstützen und mit ihnen gemeinsam neue Perspektiven zu entwickeln. Vielleicht weil ich aus einer Welt komme, in der es ganz natürlich ist, dass Frauen in der Berufswelt gleichgestellt sind mit Männern.

Am Ende des Tages ist es keine Frage des Geschlechts, ob jemand eine gute Führungskraft ist, sondern es kommt auf die Fähigkeiten und die Persönlichkeit an.

Was mich ausmacht ist Neugier, Veränderungsbereitschaft, aber auch der Mut, neue Wege zu gehen, ohne dabei das Ziel aus den Augen zu verlieren.

Ich wollte einfach immer da sein, wo ich etwas bewegen kann. Und das kann ich in der Telco-Industrie, denn sie ist keine statische Branche, sondern befindet sich im ständigen Wandel und hat einen enormen gesellschaftlichen Impact.

Vielen herzlichen Dank für Ihre Zeit und Ihr Mitwirken in unserer Interview-Reihe!

Lars Steffen

Im Gespräch mit Lars Steffen, Director International bei eco Verband der Internetwirtschaft e.V.

Lars Steffen koordiniert als Director International die internationalen Aktivitäten des eco Verbandes und ist Ansprechpartner für Mitgliedsunternehmen aus der Domain-Branche. In unserem Interview spricht er über seinen Arbeitsalltag, das ICANN78 in Hamburg und was er an seinem internationalen Team schätzt.


Wie gestaltet sich Dein Arbeitsalltag als Director International beim eco Verband und was ist das besonders Spannende an Deinem Job?

Lars Steffen: Als Team International bei eco besprechen wir uns jeden Morgen kurz und verteilen die Aufgaben: Übersetzungen von News, Studien, Positionspapieren, neue Artikel für das dotmagazine, Social Media Posts – jeden Tag haben wir mit der ganzen Bandbreite an Themen bei eco zu tun. Diese Vielfalt finde ich besonders spannend.


Du bist als Ansprechpartner für eco Mitgliedsunternehmen weltweit tätig und auch Dein Team beim eco ist sehr international aufgestellt. Am 23. Mai ist Diversity Day. Zur Diversity-Dimension gehört natürlich nicht nur der Aspekt Gender, sondern auch der Aspekt Herkunft. Was schätzt Du an der Zusammenarbeit in multikulturellen Teams und wo liegen vielleicht auch besondere Herausforderungen?

Steffen: Je vielfältiger ein Team in jeder Hinsicht ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass es in der Lage ist, eine Vielzahl von Herausforderungen zu meistern: Geschlecht, Herkunft, Sprache, unterschiedliche Ausbildungen, berufliche Hintergründe oder Erfahrungen – viele dieser Faktoren bringen oft eine Fülle von so genannten Soft Skills mit sich, die man in kaum einem Lebenslauf findet, die aber im Team zum Tragen kommen und einen enormen Unterschied machen. Dieses kann man in internationalen Foren wie beispielsweise ICANN oder der eco Kompetenzgruppe Names & Numbers Forum immer wieder beobachten und das macht auch den Reiz aus, sich dort zu engagieren.

Humor kann eine Herausforderung sein. Unterschiedliche Kulturen haben einen unterschiedlichen Sinn für Humor. Gemeinsam lachen ist immer schön, erfordert aber manchmal etwas Fingerspitzengefühl.


Warum engagierst Du Dich mit dem International Team im Bereich Women in Tech?

Steffen: Die meiste Zeit meines Berufslebens bin ich in der so genannten Tech-Branche tätig. Glücklicherweise habe ich immer in Unternehmen und Teams gearbeitet, die geschlechtsspezifisch sehr ausgewogen waren und sind. Das habe ich immer als sehr angenehm empfunden, nicht nur in Bezug auf die Qualität der Arbeit, sondern auch im Umgang mit den Kolleginnen und Kollegen und den Kunden. Daher sollten auch andere von diesem positiven Einfluss profitieren und mehr auf Diversität achten.


Im Oktober wird Hamburg zum Nabel der Internetwelt: Gemeinsam mit der DENIC eG und der Freien und Hansestadt Hamburg richtet eco als Gastgeber das ICANN Annual General Meeting ICANN78 in Hamburg aus. Erwartet werden rund 2.500 Teilnehmende aus Forschung, Tech-Community, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft aus der ganzen Welt. Was sind die Fokusthemen und wie können sich eco Mitgliedsunternehmen und Mitarbeiter:innen aus eco Mitgliedsunternehmen einbringen?

Steffen: Die Agenda für das ICANN-Meeting78 steht noch nicht fest, so dass sich noch nicht alle Themenschwerpunkte genau vorhersagen lassen. Dennoch gibt es natürlich eine Reihe von Themen, die derzeit in der Branche intensiv diskutiert werden und die sicherlich auch in Hamburg ganz oben auf der Agenda stehen werden. Dazu gehören unter anderem die nächste Bewerbungsrunde für neue Top-Level-Domains, die Neubesetzung des CEO-Postens bei ICANN, der Umgang mit Online-Missbrauch oder die Veröffentlichung von sogenannten WHOIS-Daten.

Da ICANN nach dem Multi-Stakeholder-Modell arbeitet, kann sich jeder aktiv einbringen. Die Teilnahme ist kostenlos. Ich kann daher nur jeden ermutigen, nach Hamburg zu kommen und es selbst zu erleben. ICANN hat ein breites Angebot für Neueinsteiger, um sich bei ICANN zurechtzufinden und auf den aktuellen Stand der Diskussion zu den jeweiligen Themen zu bringen.


Im Rahmen des Begleitprogramms des ICANN78 in Hamburg planst Du gemeinsam mit den Women in DNS, Women4Cyber und #LiT – Ladies in Tech: Wie kam es dazu, was dürfen Teilnehmer:innen erwarten und wer kann teilnehmen?

Steffen: Bei ICANN gibt es bereits seit 2009 die Gruppe „DNS Women“, um mehr Frauen für die Branche zu begeistern. Auch der eco Verband verfolgt mit seiner Initiative „Ladies in Tech“ bereits seit einigen Jahren das gleiche Ziel. Da liegt es nahe, das ICANN78-Meeting in Hamburg zum Anlass zu nehmen, beide Communities zusammenzubringen.


Wie lautet Dein Karriere-Tipp an Frauen, die in der Tech-Branche durchstarten wollen?

Steffen: Dazu kann man eine ganze Menge sagen und schreiben. Wenn ich es aber auf einen Aspekt herunterbrechen soll: Selbstbewusst sein und zeigen, was man kann. Kompetenz ist das A und O. Wer sie zeigt, kann sich der Anerkennung – auch der männlichen Kollegen – sicher sein.


Wir möchten Dir jetzt einen weiteren interessanten Job geben und machen Dich zum Podcast-Host. Welche Personen aus der Tech-Branche lädst Du zum Gespräch ein und worüber redest Du mit Deinen Gästen?

Steffen: Die Gründung und Entstehung der ICANN. Wir sprechen mit der Gründungsvorsitzenden von ICANN, Esther Dyson, und ihrem Nachfolger, Vint G. Cerf, um zu erfahren, wie ICANN gegründet wurde und ihre ersten Schritte als Multi-Stakeholder-Organisation unternahm, um die Wartung und die Verfahren für den Namens- und Zahlenraum des Internets zu koordinieren und einen stabilen und sicheren Betrieb des Netzes zu gewährleisten.

  • Thomas Rickert, Director Names & Numbers, eco will talk to
  • Esther Dyson, founding board chair (October 1998 – November 2000)
  • Vint G. Cerf, board chair, (November 2000 – November 2007)

Im Rahmen unserer Interview-Reihe haben wir jüngst mit Kiki Radicke, Leitung People und Culture bei Adacor, gesprochen. Sie hat uns folgende Frage Dich mitgegeben: Als Personalerin dreht sich in meiner Arbeit viel darum, die richtigen Talente an Bord zu holen und weiter zu entwickeln. Was muss ein Unternehmen mitbringen, damit es dich von sich als beste Arbeitgeberin für deine Karriere überzeugt?

Steffen: Ich denke, dass Fairness und Transparenz wichtige Faktoren sind: Umgang mit Vorgesetzten und Kolleg:innen, Karrieremöglichkeiten, Vergütung etc. Bei vielen dieser Aspekte fühlt man sich wohler, wenn Fairness und Transparenz gewährleistet sind.


Je vielfältiger ein Team in jeder Hinsicht ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass es in der Lage ist, eine Vielzahl von Herausforderungen zu meistern.

Glücklicherweise habe ich immer in Unternehmen und Teams gearbeitet, die geschlechtsspezifisch sehr ausgewogen waren und sind.

ICANN hat ein breites Angebot für Neueinsteiger, um sich bei ICANN zurechtzufinden und auf den aktuellen Stand der Diskussion zu den jeweiligen Themen zu bringen.

Kompetenz ist das A und O. Wer sie zeigt, kann sich der Anerkennung – auch der männlichen Kollegen – sicher sein.

Ich denke, dass Fairness und Transparenz wichtige Faktoren sind.

Vielen herzlichen Dank für Deine Zeit und Dein Mitwirken in unserer Interview-Reihe!


Lars Steffen ist Director International bei eco – Verband der Internetwirtschaft, dem größten Verband der Internetwirtschaft in Europa. Bei eco koordiniert er alle internationalen Aktivitäten des Verbandes und kümmert sich um die Mitglieder aus der Domain-Branche.

Dieses Interview ist ebenfalls auf Englisch verfügbar.

Vanda Scartezini

Im Gespräch mit Vanda Scartezini, Partner und General Manager, POLO Consultores Associados und Leiterin der DNS Women Initiative

Vanda Scartezini ist Partnerin und Genral Manager bei POLO Consultores Associados und Leiterin der ICANN Initiative DNS Women. Sie spricht über ihre langjährige Erfahrung in der Tech-Branche, von National Secretary für IT-Politik bis Geschäftsführerin einer IT-Unternehmensberatung, sowie über ihre Tätigkeiten bei der ICANN. Außerdem setzt sich Scartezini mit der Initiative DNS Women für mehr Frauen in Tech ein.


Lars Steffen: Sie haben eine beeindruckende Karriere in Tech hingelegt. Wie sahen Ihre bisherigen beruflichen Stationen aus und was ist Ihre aktuelle berufliche Rolle?

Vanda Scartezini: Ich habe einen technischen Background, bin Elektroingenieurin und habe in meiner beruflichen Laufbahn in verschiedenen Bereichen der IT gearbeitet – unter anderem in der Telekommunikation, der Mikroelektronik, der Messtechnik, aber auch in verschiedenen Bereichen der Produktion.

Gemeinsam mit meinem Mann habe ich ein IT-Beratungsunternehmen, das vor 36 Jahren gegründet wurde. 2003 bin ich ins Unternehmen eingestiegen und habe die Position der Geschäftsführerin übernommen, die zuvor mein Mann innehatte. Wir haben im Zuge meines Einstiegs einige Umstrukturierungen vorgenommen, um die Rolle an meine Fähigkeiten und Expertise anzupassen und meine Reputation und Bekanntheit im Land zu nutzen. Zuvor war ich im brasilianischen Ministerium für Industrie und Handel tätig, erst als National Secretary für Industrie-Technologie und danach als National Secretary für Informationstechnologie im Ministerium für Wissenschaft und Technologie.

Ein wesentlicher Teil meines Profils besteht also aus Technologie und Technologieentwicklung, ein anderer Teil aus dem Bereich Recht und Regulierung. Heutzutage bin ich nicht nur CEO, sondern auch Vorstandsvorsitzende und Vorstandsmitglied in diversen Organisationen der Informations- und Kommunikationstechnologie.


Steffen: Lassen Sie uns gemeinsam zurückblicken auf Ihre Studienzeit: Wie war es damals um den Frauenanteil in IKT-Studiengängen bestellt?

Scartezini: Auf jeden Fall gab es damals an meiner Universität, ob Sie es glauben oder nicht, keine Toilette für Frauen! Daher gaben sie uns bestimmte Zeitfenster vor, an die wir uns halten mussten. Es gab nur fünf Frauen an der Universität. In gewisser Weise hatte dies jedoch auch Vorteile: Die Jungs betrachten uns wie einen Haufen junger, süßer Hundewelpen. Hinzu kam: Ich bin nicht sonderlich groß, eher eine kleine Frau, was vielleicht noch eher den Beschützerinstinkt hervorruft, also hat man sich immer gerne um mich gekümmert. Ich habe tatsächlich eine Menge Freunde aus dieser Zeit. Einige Professoren hingegen waren komplett dagegen, dass Frauen in ihren Seminaren und Vorlesungen sitzen. Ich bin jedoch stets scherzhaft mit ihnen umgegangen!  


Steffen: Was hat Sie dazu gebracht, sich für Technik zu interessieren?

Scartezini: Bereits in jungen Jahren stand für mich fest: Ich will Ingenieurin werden. Ich habe genau wie meine Geschwister sehr früh schreiben und lesen gelernt. Ich wollte immer gerne mehr wie die Jungs sein, immer etwas anders machen. Auch mein Großvater – den ich leider nicht so gut kannte, da wir früh von Rio de Janeiro nach Sao Paulo umgezogen sind – hat mich geprägt. Er war der Direktor einer Telefongesellschaft. Auch meine Mutter hat länger für die Telefongesellschaft gearbeitet. Meine Mutter pflegte zu sagen: „Dein Überleben darf niemals von einem Mann abhängig sein. Sei dir klar, dass du dich auf niemanden wirklich verlassen kannst. Du musst auf dich selbst zählen.“ Meiner Familie war Unabhängigkeit immer sehr wichtig, was ich denke, bei Einwandererfamilien die Norm ist.


Steffen: Wann sind Sie zum ersten Mal mit dem Internet in Berührung gekommen?

Scartezini: Das war Anfang der 90er Jahre als das Bulletin Board System (BBS) in Brasilien verfügbar war. Brasilien war eines der ersten Länder, welches eine Domain-Länderkennung über die Universität vergeben hat: nämlich „.br“.

Die Telefongesellschaft Embratel als Teil der staatlichen Telekommunikationsgruppe war damals für die internationalen Verbindungen zuständig. Wir bekamen erste E-Mail-Adressen wie „vanda@embratel.br“.

Mein Mann, ein Mathematiker, war stets sehr technik-affin und wir haben von Beginn an mit dem Internet gearbeitet. Computer und Software waren seit jeher Bestandteil unseres Unternehmens und die Präsentation des Internets für die Kunden war nur die logische Konsequenz und ein Geschäftsvorteil für uns. Ich fand es extrem interessant, die Zukunft des Internets zu sehen und zu erfahren, was damit alles möglich ist.


Steffen: Wann sind Sie mit dem DNS, der ICANN und der ICANN-Community in Berührung gekommen?

Scartezini: Die ICANN wurde 1998 ins Leben gerufen. Brasilien war von Anfang an dabei. Damals war ich als National Secretary für IT-Politik in der brasilianischen Regierung tätig. Ich wusste, dass jemand der ICANN Governmental Advisory Committee Gruppe (GAC) beitreten sollte. Da ich persönlich zu diesem Zeitpunkt keine Zeit hatte, schickte ich meinen Direktor zum GAC und er nahm an dem ersten ICANN-Meeting teil. Dadurch konnte ich einen Einblick in die GAC-Diskussion gewinnen. Nachdem der Direktor im Jahr 2000 ging, bin ich in eingestiegen und habe Brasilien im GAC vertreten. 2002 wurde ich stellvertretende Vorsitzende des GAC und seitdem habe ich ICANN nie wieder verlassen. Am Anfang war das GAC sehr klein: Wir sind in viele Länder gereist und haben uns gegenseitig besucht – von Australien bis Kanada. Alle, die von Anbeginn dabei waren, stehen sich besonders nahe. Wir konnten viele Probleme, die wir im GAC hatten, gemeinsam lösen. Schließlich bin ich in den Vorstand gekommen, was mir noch mehr Kontakte und Austausch ermöglicht hat.

In der Zwischenzeit habe ich unterschiedliche Positionen in den Gremien wahrgenommen, war im ICANN Vorstand, im At-Large Advisory Committee (ALAC), sowie im Security and Stability Advisory Committee (SSAC). Teil von ICANN zu sein, fühlte und fühlt sich an wie Teil einer Familie zu sein. Um ehrlich zu sein, sehe ich meine Freunde bei ICANN heute öfter als meine Söhne und Enkelkinder.


Steffen: Ist es eher die Technologie oder sind es die Menschen, die Sie dazu bewogen haben, über all die Jahre bei ICANN aktiv zu sein?

Scartezini: Am Anfang war es eher technologiebedingt. Heutzutage hat es viel mehr mit Herausforderungen der User zu tun. Es gibt viele Dinge, die für User nicht verständlich sind. Wie können sie beispielsweise feststellen, dass es sich nicht um eine Fake-Adresse handelt? Wie können sie das verstehen? Sie wissen auch nicht, wer sich um gewisse Aspekte und Angelegenheiten kümmern kann.

Einer der Gründe, warum ich mich stark für die generic Top-Level Domains (gTLDs) engagiert habe, war, weil ich Unternehmen davon überzeugen wollte, dass sie diese Endungen ihres Markennamens als Domain brauchen, weil so für Nutzer leicht erkennbar ist, dass es sich um eine vertrauenswürdige Domain handelt, die zum Unternehmen gehört.


Steffen: Haben Sie für bestimmte gTLDs geworben?

Scartezini: Ja, in meinem Land habe ich einige gTLDs – beispielsweise für Banken oder große Marken – gefördert. Das ist ziemlich wichtig, denn wenn die Leute den Namen einmal gesehen haben, glauben sie oft, dass er ihnen gehört.

Wenn zum Beispiel die Endung „br“ (oder dem Äquivalent in anderen Ländern) lautet, ist es leicht, die Domäne in eine ähnliche Weise zu ändern, was für die Leute irreführend sein kann. Für normale Menschen ist es sehr schwierig zu verstehen, wie sie sich schützen können. Deshalb habe ich meine Aufmerksamkeit genau auf diese Fragen gerichtet und mich damit befasst, wie man Technologie zum Schutz der User einsetzen kann.

Kommen wir zu einem weiteren Aspekt, der mir sehr wichtig ist, zu meinem Engagement für mehr Frauen in der Domain-Industrie: 2009 ist mir im Gespräch mit vier weiteren Frauen aufgefallen, dass wir viel mehr Frauen einbeziehen müssen. Wir waren einfach zu wenige in diesem Umfeld. Daher habe wir die Initiative DNS Women gegründet. Dadurch konnten sich viele Frauen untereinander vernetzen und austauschen, weitere Frauen zu Sitzungen einladen und Frauen stärker in diese Themen einbeziehen. DNS Women ist Teil der ICANN-Agenda.


Steffen: Warum ist Ihnen eine ausgewogenere Geschlechterverteilung und somit die Erhöhung des Frauenanteils bei ICANN wichtig?

Scartezini: Es ist mir besonders wichtig, weil wenn es nur Frauen oder nur Männer gibt, ist die Denkweise eben nicht vielfältig und perspektivenreich, sondern homogen. Es gibt keine Gegenpositionen. Man braucht die Vielfalt, um Punkte anzusprechen, zu diskutieren und die beste Antwort zu finden. Ausgewogenheit und Vielfalt müssen daher unser Ziel sein. Dazu zählen Diversity-Dimensionen wie Geschlechtervielfalt ebenso wie zum Beispiel die geographische Herkunft. Vielfalt zur Norm zu machen, braucht Zeit. Ich glaube, wir brauchen heterogene Denkweisen und die völlig unterschiedlichen Sichtweisen aus der männlichen und aus der weiblichen Perspektive. Wenn man die ausgewogene Denkweise findet und die Themen tiefgehend diskutiert, kann man viel bessere Antworten finden.


Steffen: Wenn ich an ICANN-Sitzungen teilnehme, habe ich das Gefühl, dass es hier wesentlich mehr Frauen gibt als in anderen Tech-Bereichen. Das mag zwar noch lange nicht perfekt sein, aber ich denke, dass bei ICANN mehr Frauen – auch in Führungspositionen – aktiv sind als in anderen Teilen der Tech-Industrie. Was können wir tun, um mehr Frauen für die Tech-Branche im Allgemeinen, aber insbesondere vielleicht auch für die ICANN-Community zu gewinnen?

Scartezini: Es stimmt, heutzutage haben wir in der ICANN Community eine größere Ausgewogenheit als in der IKT-Branche insgesamt. Aber die Beteiligung bei ICANN hängt stark vom kulturellen Hintergrund und Herkunft der Menschen ab. Wenn man die europäische und nordamerikanische Kultur mit der asiatischen, afrikanischen und latein-amerikanischen Kultur vergleicht, stellt man fest, dass sich Europäer:innen und Nordamerikaner:innen für jede Position bewerben. Dagegen warten Menschen aus der südlichen Hemisphäre, bis sie eingeladen werden: Das ist eine völlig andere Herangehensweise. Haben diese großen Weltregionen kein Selbstvertrauen? Das glaube ich nicht. Ich glaube viel mehr, dass es an der unterschiedlichen Sozialisation und kulturell-geprägten Verhaltensnormen liegt, sich nicht in den Vordergrund zu stellen. Das Konzept ist, dass man warten sollte, bis man eingeladen wird. Aber seien wir realistisch: Niemand wird auf sie zugehen und sie explizit dazu einladen. Das ist ganz natürlich. Das beobachtet man im ICANN Nominating Committee (NomCom). Ich bin seit vielen Jahren im NomCom und Sie können sich diese Situation dort zu eigen machen. Kandidat:innen aus Nordamerika und Europa schlagen sich selbst vor. Und die anderen? Sie sagen einfach: „Was denken Sie, bin ich dafür geeignet?“. Bei Frauen ist es noch schwieriger. Sie sind noch zurückhaltender. Selbst in der nördlichen Hemisphäre streben Frauen teilweise weniger aktiv Positionen an als Männer – allerdings treten sie eher pushy auf als Frauen aus der südlichen Hemisphäre.  


Steffen: Das macht es noch schwieriger, denn was wir in Studien und in der Forschung sehen, ist, dass auch in der westlichen Hemisphäre Frauen immer ein bisschen mehr leisten müssen oder besser sein müssen als Männer. Dort haben wir auch immer noch einen Gender Pay Gap, was bedeutet, dass Frauen offenbar immer noch mehr leisten müssen.

Scartezini: Es ist schwieriger, vor allem wenn man diese Aufteilung der Welt und die unterschiedlichen Verhaltensweisen und kulturellen Prägungen der Menschen beobachtet. Das Interessante ist ja, dass das Verhalten so tief in dem Menschen verankert und unterbewusst automatisiert ist, dass die Person sich gar nicht darüber bewusst ist, was sie da tut. Es gibt immer noch die Einstellung und Haltung, dass Frauen härter arbeiten und gleichzeitig schlechter bezahlt werden. Aber ich glaube, das ändert sich langsam – zumindest von dem, was ich in meiner langjährigen beruflichen Laufbahn wahrnehme.


Steffen: Bedeutet das, dass in bestimmten Teilen der Welt ein kultureller Wandel notwendig ist?

Scartezini: Ja, um in einigen Teilen der Welt mehr Frauen in für die Tech-Industrie zu gewinnen, müssen wir uns für die spezifisch kulturell-geprägte Sozialisation von Mädchen wie Rollenbilder und kulturell-geschlechtsspezifisch-geprägte Erwartungsnomen tiefgründig interessieren. Studien renommierter Unternehmen zeigen, dass man nur bis zum 15. Lebensjahr lernt beispielsweise Mathematik als etwas Interessantes zu sehen. Danach sinkt die Wahrscheinlichkeit dafür ein neues Interesse zu entwickeln.


Steffen: Sie haben eine sehr erfolgreiche Karriere in Tech hingelegt. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?

Scartezini: Ich glaube, dass ich Top-Positionen in der Industrie erreicht habe, weil ich erkannt habe, dass man sich selbst vermarkten muss. Man muss an sich selbst glauben und daran, dass man gut ist. Meine Mutter hat zu mir in jungen Jahren in etwa folgendes gesagt und hat mir in dieser Hinsicht sehr geholfen: „Du bist keine Schönheit, du hast bei Männern nicht allzu großen Chancen. Glaube einfach an deinen Verstand, denn du bist intelligent, nutze das!“ Das war in Ordnung. Ich bin damit aufgewachsen, habe Gelegenheiten, die sich mir geboten haben, genutzt und anderen stets gezeigt und bewiesen, was ich kann und Selbstmarketing betrieben, um aufzufallen und hervorzustechen. Ich musste mich verkaufen und habe diese Erkenntnis auch meinen Kindern beigebracht.

Ich habe Söhne, aber auch zwei Töchter. Eine ist Kinderärztin, die andere ist Ingenieurin. Auch sie standen unter dem Druck, sich zu verkaufen. Das ist besonders wichtig, denn auch für Männer gilt: Wenn sie nicht wissen, wie sie sich verkaufen sollen, kommen sie nicht weit.  


Steffen: Ihr Rat an junge Leute lautet also, mehr Selbstvermarktung zu betreiben und sich und seine Leistungen sichtbar zu machen?

Scartezini: Ja, ganz eindeutig. Ich glaube wirklich, dass die Notwendigkeit einer Veränderung des kulturellen Verhaltens sehr wichtig ist. Denn selbst in Europa kann man sehen, dass beispielsweise die Deutschen, die Portugiesen oder die Süditaliener mit dem Thema Selbstvermarktung völlig unterschiedlich umgehen, und sie haben auch völlig unterschiedlichen Erfolg in der Branche.


Steffen: Gibt es noch etwas, was Unternehmen tun können, um diesen Prozess zu unterstützen?

Scartezini: Das erste ist, die Idee intern zu verbreiten: in Schulen, in Universitäten und in sonstigen Bildungseinrichtungen für Mädchen und Frauen. Untersuchungen zeigen: Nach dem 15. Lebensjahr werden keine neuen persönlichen Interessen mehr angelernt. Deshalb muss Technik-Interesse schon früh geweckt und entwickelt werden. Wenn man Mädchen nicht dabei unterstützt, sich für Mathematik oder Physik zu interessieren, werden sie sich nicht für eine Karriere entscheiden, in der MINT-Kompetenzen gefragt sind. Damit müssen sie in einem frühen Alter anfangen.


Steffen: Nur noch eine letzte Frage: Wenn Sie einen Blick in die nahe Zukunft werfen: Was glauben Sie, wie wird sich die Tech-Branche in den nächsten fünf Jahren entwickeln? 

Scartezini: Meiner Meinung nach wird es sehr viele Veränderungen geben, was die Herausforderungen angeht. Für die junge Generation ist die Nutzung von Technik selbstverständlich und simpel, aber sie ist viel mehr an der Nutzung der Technologie interessiert als dass sie verstehen wollen, wie diese funktioniert. Darin sehe ich eine Herausforderung für den zukünftigen Fortschritt im Technologie-Sektor. Bildung muss daher darauf abzielen, dieses Interesse für die tiefgreifende Auseinandersetzung, das Verstehen von Technik und den Willen diese zu verbessern und zu verändern, wecken.

Ich glaube, dass die Zukunft der gesamte Technologie-Bereich stark davon abhängen wird, wie künstliche Intelligenz die Arbeitswelt verändert, wie sie Menschen insbesondere durch die Übernahme von repetitiven Routineaufgaben entlasten kann. Nehmen wir beispielsweise die Integration von Schaltkreisen: Das Konzept ist schwer umzusetzen, aber die physische Arbeit ist, selbst mit Hilfe einer Software, ziemlich langweilig und besteht im Grunde genommen aus stupiden Copy-and-Paste-Vorgängen. Das bedeutet, dass wir Menschen zukünftig nicht in Routineaufgaben ausbilden sollten. Wir müssen Menschen beibringen, ihre Arbeit mit Hilfe der Technologie besser zu machen. Das heißt, die Bildung muss schneller angepasst werden. Aktuell ist die Welt viel zu langsam, wenn es darum geht, den Kindern das Wissen zu vermitteln, das ihnen in der Zukunft wirklich helfen wird. Gleichzeitig schreitet der Fortschritt einiger Technologien immer schneller voran, und zwar in den Händen von Menschen, die gelernt haben, Technologien zu verändern. Aber die neue Generation ist darauf noch nicht wirklich gut vorbereitet.

Bereits in jungen Jahren stand für mich fest: Ich will Ingenieurin werden. Ich habe genau wie meine Geschwister sehr früh schreiben und lesen gelernt.

2002 wurde ich stellvertretende Vorsitzende des GAC und seitdem habe ich ICANN nie wieder verlassen. Am Anfang war das GAC sehr klein: Wir sind in viele Länder gereist und haben uns gegenseitig besucht – von Australien bis Kanada. Alle, die von Anbeginn dabei waren, stehen sich besonders nahe.

Es gibt viele Dinge, die für User nicht verständlich sind. Wie können sie beispielsweise feststellen, dass es sich nicht um eine Fake-Adresse handelt?

2009 ist mir im Gespräch mit vier weiteren Frauen aufgefallen, dass wir viel mehr Frauen einbeziehen müssen. Wir waren einfach zu wenige in diesem Umfeld. Daher habe wir die Initiative DNS Women gegründet.

Aber die Beteiligung bei ICANN hängt stark vom kulturellen Hintergrund und Herkunft der Menschen ab.

Studien renommierter Unternehmen zeigen, dass man nur bis zum 15. Lebensjahr lernt beispielsweise Mathematik als etwas Interessantes zu sehen. Danach sinkt die Wahrscheinlichkeit dafür ein neues Interesse zu entwickeln.

Ich glaube, dass die Zukunft der gesamte Technologie-Bereich stark davon abhängen wird, wie künstliche Intelligenz die Arbeitswelt verändert.

Vielen herzlichen Dank für Ihre Zeit und Ihr Mitwirken in unserer Interview-Reihe!


Das Interview ist zuerst auf Englisch im dotmagazine erschienen.

Kiki Radicke

Im Gespräch mit Kiki Radicke, Leiterin People und Culture bei Adacor

Kiki Radicke leitet bei der ADACOR Hosting GmbH den Bereich People Operations. In ihrer Rolle verantwortet sie das Employer Branding und Recruiting sowie die Entwicklung von Maßnahmen im Bereich Feelgood Management und Corporate Social Responsibility. Außerdem ist sie im Vorstand des gemeinnützigen Vereins MedienMonster tätig.


Wie gestaltet sich Ihr Arbeitsalltag als Leiterin People und Culture bei Adacor und was ist das besonders Spannendste an Ihrem Job?

Kiki Radicke: Ich starte an jedem Tag mit einem kurzen Update mit meinen Teams. Wir besprechen, was ansteht und tauschen wichtige Infos aus, so dass wir alle mit allem ausgestattet sind, was wir brauchen, um an den richtigen Aufgaben zu arbeiten und die besten Entscheidungen treffen zu können.

Mein Aufgabenbereich ist sehr breit, von daher sieht bei mir jeder Arbeitstag anders aus. Ich arbeite strategisch, wenn es um die Weiterentwicklung der Arbeitgebermarke, den Ausbau meines Netzwerks oder die Ausrichtung des Unternehmens geht, sehr operativ mit der Erstellung von Inhalten für Vorträge, Artikel, Social-Media-Posts und der Erstellung von Konzepten, kreativ bei der Planung von Veranstaltungen und dem Employer Branding und unterstützend bei der Weiterentwicklung von Mitarbeitenden.

Als spannend an meinem Job empfinde ich besonders die Möglichkeit schnell auf Veränderungen im Unternehmen oder bei den Bedürfnissen der Mitarbeitenden reagieren zu können, die Freiheit Themen voranzutreiben, für die meine Teams und ich brennen und den Einsatz von Technologien und AI im Arbeitsalltag.


Frauen sind in der Tech-Branche weiterhin unterrepräsentiert. Viele IT-Unternehmen wollen sehr gerne mehr Frauen einstellen, jedoch scheitert es mitunter schon daran, dass nur sehr wenige Bewerbungen von Frauen eingehen. Wie gelingt es Tech-Unternehmen mehr Bewerbungen von Frauen zu generieren?

Radicke: Als IT-Unternehmen fällt es uns tatsächlich schwer, Frauen zu rekrutieren. Diese sind leider immer noch unterrepräsentiert in der Branche. Wir schreiben daher Stellen auch zusätzlich gezielt auf Frauen zugeschnitten aus. Dabei geht es viel um das Wording. Man kann zum Beispiel „durchsetzungsstark“ durch „selbstbewusst“ ersetzen, „Verhandlungsgeschick“ durch „wortgewandt“ oder „analytisches Denken“ durch „den Blick für das Wesentliche“.

Studien zeigen, dass sich Frauen eher nicht auf Stellen bewerben, bei denen sie nicht 100% der geforderten Skills abdecken. Wir sind daher dazu übergegangen, keine Liste von Forderungen in die Anzeigen zu packen, sondern zu beschreiben wie der Job aussieht, was wir bieten und was gute Voraussetzung für die Zusammenarbeit wären.

Mit dem Gedanken an Vereinbarkeit, kann es auch hilfreich sein Jobportale zu nutzen, die ein Werte-Matching machen. Das gibt Kandidatinnen die Sicherheit, dass der Arbeitgeber passt. Empion setzt das zum Beispiel super um.

Auf unserer Karriereseite, den Social-Media-Kanälen und in Blogbeiträgen platzieren wir gezielt Themen, die auf Vereinbarkeit abzielen. Unser Learning dabei ist, dass wir damit nicht nur die Zielgruppe der Frauen und Mütter ansprechen, sondern auch (zukünftige) Väter. Laut der Trendstudie “Zukunft Vereinbarkeit” würden 59 Prozent der befragten zukünftigen Eltern ihren Arbeitgeber wechseln, wenn keine betrieblichen Maßnahmen zur Vereinbarkeit angeboten würden (Hays, 2021).

Zusätzlich binden wir unsere Corporate Influencer:innen in das Employer Branding ein, sie haben einen besonders positiven Einfluss, da sie den authentischen Blick hinter die Kulissen geben. Als Arbeitgeber profitieren wir von deren Netzwerk, Einfluss und Reputation.

Auch das Engagement in Netzwerken wie LiT hilft dabei, die Arbeitgebermarke bei der Zielgruppe der Frauen bekannter zu machen und in Kontakt zu kommen. Ich persönlich halte viele Vorträge zu den Themen Vereinbarkeit und New Work, um das Engagement und die Benefits, die Adacor bietet, bekannter zu machen.

Über die Auszeichnungen, die wir erhalten, zum Beispiel von der Zeitschrift BRIGITTE als eines der besten Unternehmen für Frauen, der Zeitschrift ELTERN als eines der besten Unternehmen für Eltern, Auszeichnungen als besonders familienfreundliches Unternehmen der Stadt Offenbach, kununu TOP Company und Beste Arbeitgeber von Great Place to Work, lassen wir unsere Maßnahmen und unsere Arbeitgebermarke immer wieder überprüfen. Kandidatinnen haben so an ganz vielen Stellen die Möglichkeit sich über uns zu informieren.

So flexibel wir in unserer Arbeitsorganisation sind, so flexibel wollen wir auch schon im Recruiting sein. Wenn die Kita nur von 8-17 Uhr geöffnet hat, ist es schwer, danach noch einen Termin für ein Bewerbungsgespräch wahrzunehmen – kein Problem, bei uns können die Kinder mit zum Bewerbungsgespräch kommen. Das führen wir dann eben im Eltern-Kind-Büro und lernen die Kandidat:innen zusätzlich von einer neuen Seite kennen.

Was für mich persönlich ein Punkt ist, den ich gerne aktiver treiben möchte, ist das Anerkennen der Elternzeit und Pflegezeit als Berufserfahrung im Lebenslauf. Wenn wir anfangen diesen Zeitraum im Lebenslauf als Teil der persönlichen Entwicklung mit dem Erlernen von neuen Fähigkeiten anzusehen, die weiter qualifizieren, dann ist die Elternzeit auch kein Karrierekiller mehr.

Ein strukturierter Recruitingprozess mit schneller, persönlicher, transparenter Kommunikation und klarem Erwartungsmanagement hilft beiden Seiten, die neue Partnerschaft richtig zu beurteilen, sodass eigentlich nichts mehr schief gehen kann. Besonders mit Familie oder zu pflegenden Angehörigen geht man nicht leichtfertig das Risiko eines Jobwechsels ein. In diesem Prozess legen wir die Basis für den psychologischen Vertrag, den wir als Arbeitgeber mit zukünftigen Mitarbeitenden eingehen. Wir wollen Vertrauen schaffen, sodass im Laufe der Beziehung Probleme, Bedürfnisse, Ängste und Erwartungen offen angesprochen werden können.


Das sind tolle Impulse und Anregungen, um als Unternehmen eine Diversität in der Dimension Gender zu stärken. Jedoch ist das Recruiting nur der Anfang. Wie müssen Maßnahmen aussehen, um Frauen langfristig zu binden und in Führungspositionen oder Fachkarrieren zu bringen?

Radicke: Da stehen die Themen Vereinbarkeit, Arbeitsorganisation, Gleichstellung und Förderung im Mittelpunkt. Ein wichtiger Punkt in Sachen Vereinbarkeit sind in meinen Augen sehr flexible Arbeitsmodelle. Von individuellen Teilzeitmodellen, einer 4-Tage Woche, der flexiblen Reduzierung der Wochenarbeitsstunden bis zum Job-Sharing auch in Führungspositionen.

Veraltete starre Teilzeitmodelle sind nicht mehr zeitgemäß und bilden auch nicht die Lebenswirklichkeit von Frauen und im Speziellen von Müttern ab. Es ist für Arbeitgeber also wichtig, sich als Partner für die verschiedenen Lebensphasen zu positionieren. Unternehmen, in denen Familienplanung und Karriereplanung sich nicht gegenseitig aushebeln, werden für Frauen immer interessanter sein.

Das bezieht sich auch auf die Benefits, die Unternehmen bieten. Der Kickertisch und der Obstkorb sind es nicht mehr, es geht vielmehr um unterstützende oder erleichternde Maßnahmen. Dazu zählen zum Beispiel die Bezuschussung oder das Angebot der Kinderbetreuung oder haushaltsnaher Dienstleistungen, Aufstockung des Kindergeldes. Sonderurlaube, Gesundheitsprogramme, Weiterbildungsmöglichkeiten, privates Coaching und Familienevents.

Was die Arbeitsorganisation angeht, bin ich überzeugt, dass besonders für Frauen eine agile Organisation wertvoll ist. Unternehmen, die agil und flexibel aufgestellt sind, bieten oft flache Hierarchien, viel Teamwork und den Mitarbeitenden mehr Autonomie. Ziele werden im Team festgelegt, Aufgaben werden gemeinsam geplant und die Arbeitslast auf viele Schultern verteilt. Das bietet Raum für flexible Arbeitszeiten, Remote Work und Teilzeitmodelle, ohne dass dies zu Lasten der Karriere geht. Damit einher geht eine Kultur des Vertrauens und der Kommunikation, was dazu führt, dass sich Kolleg:innen sicher fühlen können, wenn sie sich um Familienangelegenheiten kümmern müssen.

Wenn wir über Gleichstellung sprechen, dann gehört es dazu, dass Frauen in allen Unternehmensbereichen die gleichen Chancen wie ihre Kollegen haben. Das geht nur über ein transparentes und objektives Einstellungs- und Beförderungsverfahren. Wir haben ein eigenes Framework entwickelt, das sich an das Modell von Spotify anlehnt, welches ganz unterschiedliche Karrierepfade ermöglicht.

Unabhängig von der Wochenstundenzahl, die jemand bei uns arbeitet, ist eine Karriere auch ohne disziplinarische Verantwortung und in Teilzeit möglich. Dafür haben wir verbindliche Richtlinien für die Beurteilung von Mitarbeitenden und Vorlagen für Feedbackgespräche. Es geht darum, ein klares Erwartungsmanagement zu etablieren und vergleichbare Maßstäbe anzusetzen.

Dafür eine Awareness im Unternehmen zu schaffen und Führungskräfte zu sensibilisieren Stereotype und Vorurteile abzubauen, sollte fester Bestandteil der People-Strategie sein.

Feste Gehaltsstrukturen für alle Rollen im Unternehmen helfen zu vermeiden, dass Personen in der gleichen Rolle unterschiedlich bezahlt werden. Da hilft es auch, sich einmal die Arbeit zu machen, den Pay-Gap im Unternehmen zu identifizieren, um Ungerechtigkeiten sukzessive abzubauen.

Wenn dann offen und proaktiv aufgezeigt wird, was im Unternehmen wie zu erreichen ist, stehen die Chancen gut, dass Karriere nicht nur von den Personen gemacht wird, die am längsten arbeiten und am häufigsten im Büro sind.

Die Weiterentwicklung der Mitarbeitenden sollte zusätzlich wichtiger Bestandteil des Aufgabenbereichs der Führungskräfte sein. In Kombination mit Mentoring- und Coaching-Programmen, können Frauen so gezielt gefördert werden. Dabei ist die Unterstützung, von externen Dienstleistern ebenso sinnvoll, wie erfahrene Kolleginnen, die Nachwuchstalende fördern und ihnen beratend zur Seite stehen. Unternehmen sollten aktiv darauf hinwirken, Frauen in Führungspositionen zu befördern und ihnen die Möglichkeit geben, Verantwortung zu übernehmen und Karriere zu machen.


Adacor wurde mehrfach als Top-Arbeitgeber ausgezeichnet und bietet zahlreiche Benefits für Mitarbeiter:innen jenseits vom Obstkorb und Kicker. Besonderen Wert legt Adacor auf die Familienfreundlichkeit und das Miteinander im Unternehmen. Wie unterstützt Ihr bei Adacor Arbeitnehmer:innen ganz konkret in diesen Bereichen?

Radicke: Wir wünschen uns ein partnerschaftliches Miteinander. Dazu gehört auch, die Bedürfnisse der Kolleg:innen in den individuellen Lebensphasen zu berücksichtigen. Daher hat das Thema Vereinbarkeit eine hohe Gewichtung, vor allem in Bezug auf die Kombination von Job, Pflege und Familie.

Das fängt schon im Recruiting an. Wir bieten Vätern und Müttern familienfreundliche  Bewerbungsgespräche im Eltern-Kind-Büro. Wenn die Kita von 8 Uhr bis 17 Uhr geöffnet ist, dann ist es schwer außerhalb dieser Zeiten Termine wahrzunehmen. Bei uns darf der Nachwuchs gerne mitkommen. Alle Stellen werden immer auch in Teilzeit ausgeschrieben und wir bieten ganz flexible Arbeitsmodelle an.

Neben finanziellen Benefits, wie die Bezuschussung der Kinderbetreuung mit bis zu 300€ monatlich oder Versicherungen, die über das Unternehmen laufen, schauen wir besonders auf die Arbeitsorganisation. Wir haben Kernzeiten, in denen alle arbeiten. Außerhalb davon finden keine Meetings statt, sodass die Arbeitszeit nicht mit dem Privatleben kollidiert.

Die Teams arbeiten agil mit Wochensprints, das ermöglicht eine Aufgabenplanung, die den Möglichkeiten der Mitarbeitenden entspricht, sodass Überlastungen vermieden werden können und gleichzeitig zu einer hohen Performance angeregt wird.

Zusätzlich steuern die Teams ihre Aufgaben über OKRs (Objectives and Key Results, eine Projektmanagementmethode aus dem Silicon Valley). Dadurch hat jede:r Einzelne im Unternehmen die Möglichkeit seine bzw. ihre Expertise am sinnvollsten und mit der größten Wirksamkeit einzusetzen. Dafür brauchen wir viel transparente Kommunikation und interne Abstimmung, das führt dazu, dass sich wenig Stress oder Unmut aufstaut, da Entscheidungen gemeinsam getragen werden und nachvollziehbar sind. Themen werden wohlwollend und offen besprochen, um gemeinsam Lösungen zu finden.

Auch das Thema Karriere haben wir auf die unterschiedlichen Lebensphasen und Bedürfnisse der Kolleg:innen ausgerichtet.  Wir arbeiten mit Rollen und unser „Steps-Karriereframework“ ermöglicht, unabhängig von den Wochenstunden, die jemand arbeitet, verschiedene Karrierepfade. Eine Karriere ist bei uns so auch ohne disziplinarische Führung und in Teilzeit möglich.

Mit Coachingangeboten unterstützen wir die Kolleg:innen aktiv bei ihrer persönlichen Weiterentwicklung. Die Mitarbeitenden haben jeweils 10 Coachingstunden im Jahr, zu ihrer freien Verfügung. Uns ist ganz wichtig, dass dieses Angebot auch für private Themen genutzt werden kann. Bei speziellen Themen unterstützen unsere Eltern– und Pflegeguides.


Vereinbarkeit ist nicht nur ein Thema für Mütter. Viele Männer wünschen sich mehr Familienzeit. Was braucht es aus Ihrer Sicht seitens der Väter und der Arbeitgeber, damit zukünftig mehr Männer Elternzeit nehmen, sich stärker an der Care-Arbeit beteiligen?

Radicke: Nach wie vor ist es in vielen Unternehmen nicht akzeptiert oder angesehen, wenn Väter überhaupt oder länger als zwei Monate in die Elternzeit gehen. Elternzeit gilt immer noch an vielen Stellen als Karrierekiller.

Solange sich dieser Zustand nicht ändert, wird sich nicht viel bewegen können. Für Väter muss es genauso akzeptiert sein, in Elternzeit zu gehen, wie für Mütter. Wünschenswert wäre es, wenn für alle Mitarbeitenden die Möglichkeit besteht längere Auszeiten, sei es die Elternzeit, ein Sabbatical, eine längere Kur o.ä., zu nehmen, ohne dass dies die Chancen auf eine Karriere verringert.

Immer mehr Väter haben den Wunsch nach gleichverteilter Elternzeit, sodass das Thema Vereinbarkeit immer wichtiger wird und Unternehmen nicht mehr daran vorbei kommen.

Im besten Fall bedeutet das für Unternehmen, dass das „Risiko“ eine Frau im Alter zwischen 25 und 35 einzustellen genauso hoch ist, wie das einen Mann einzustellen. Beide werden 6-12 Monate Elternzeit nehmen. Das zwingt Unternehmen in Zukunft, ihre Arbeitsorganisation darauf auszurichten, sodass längere Ausfälle aufgefangen werden können. Bis dahin haben wir aber noch ein ordentlichen Stück Arbeit vor uns. Da ist die Bildung gefragt, die Gesellschaft und die Politik.


Wir möchten Ihnen jetzt einen weiteren interessanten Job geben und machen Sie zum Podcast-Host. Wen laden Sie in unserem Kontext Frauen in Tech zum Gespräch ein und worüber reden Sie mit Ihren Gästen?

Radicke: Ich finde, es kommen insgesamt noch zu wenig Kolleginnen aus Mittelständischen Unternehmen zu Wort. Ich könnte mir daher ein Gespräch mit Miriam Reichelt von Comspace vorstellen und würde mit ihr darüber diskutieren, wie cool Compliance sein kann. Andere spannende Gesprächspartnerinnen wären natürlich Kenza Ait Si Abbou von IBM oder Gabriele Pulvermüller von Dogado als Role Models zum Thema wie man Kinder, Familie und Karriere unter einen Hut bekommt.


Im Rahmen unserer Interview-Reihe haben wir jüngst mit Kim Dressendörfer, Senior Account Technical Leader bei IBM, gesprochen. Sie hat uns folgende Frage für die nächste Interview-Partnerin mitgegeben: In meinen Gesprächen mit Frauen aus der Tech-Branche stellt sich sehr häufig heraus: Keine hat damit gerechnet, dass sie in dieser Branche landet. Daher lautet meine Frage: Wann hast du realisiert, dass es die Tech-Branche ist, in der du arbeiten möchtest?

Radicke: Da geht es mir tatsächlich genau so. Ich hatte nicht geplant in der IT zu landen. Dass ich in der Branche arbeiten möchte weiß ich erst, seitdem ich bei Adacor bin. Das ich an der IT-Branche wirklich Spaß habe, habe ich auch nicht direkt realisiert, sondern erst nach etwa etwa fünf Jahren, als innerhalb der Geschäftsführung ein Wechsel statt gefunden hat und die neue Leitung das Unternehmen auf agile Arbeitsweisen umgestellt hat. Ich mag gut funktionierende Prozesse und liebe es, diese automatisiert abbilden zu können. Dazu kommt die Geschwindigkeit, mit der wir Dinge umsetzen und Neues implementieren können. Mit so viel Kreativität hätte ich in der IT nie gerechnet und möchte diese Kombination auch nicht mehr missen.


Welche Frage möchten Sie uns für die nächste Interview-Partner:in mitgeben?

Radicke: Als Personalerin dreht sich in meiner Arbeit viel darum, die richtigen Talente an Bord zu holen und weiter zu entwickeln. Was muss ein Unternehmen mitbringen, damit es dich von sich als beste Arbeitgeberin für deine Karriere überzeugt?


Vielen herzlichen Dank für Ihre Zeit und Ihr Mitwirken in unserer Interview-Reihe!

Wir sind daher dazu übergegangen, keine Liste von Forderungen in die Anzeigen zu packen, sondern zu beschreiben wie der Job aussieht, was wir bieten und was gute Voraussetzung für die Zusammenarbeit wären.

Auch das Engagement in Netzwerken wie LiT hilft dabei, die Arbeitgebermarke bei der Zielgruppe der Frauen bekannter zu machen und in Kontakt zu kommen.

Wenn die Kita nur von 8-17 Uhr geöffnet hat, ist es schwer, danach noch einen Termin für ein Bewerbungsgespräch wahrzunehmen – kein Problem, bei uns können die Kinder mit zum Bewerbungsgespräch kommen.

Ein wichtiger Punkt in Sachen Vereinbarkeit sind in meinen Augen sehr flexible Arbeitsmodelle.

Der Kickertisch und der Obstkorb sind es nicht mehr, es geht vielmehr um unterstützende oder erleichternde Maßnahmen.

Unternehmen sollten aktiv darauf hinwirken, Frauen in Führungspositionen zu befördern und ihnen die Möglichkeit geben, Verantwortung zu übernehmen und Karriere zu machen.

Die Teams arbeiten agil mit Wochensprints, das ermöglicht eine Aufgabenplanung, die den Möglichkeiten der Mitarbeitenden entspricht, sodass Überlastungen vermieden werden können und gleichzeitig zu einer hohen Performance angeregt wird.

Wünschenswert wäre es, wenn für alle Mitarbeitenden die Möglichkeit besteht längere Auszeiten, sei es die Elternzeit, ein Sabbatical, eine längere Kur o.ä., zu nehmen, ohne dass dies die Chancen auf eine Karriere verringert.

Mit so viel Kreativität hätte ich in der IT nie gerechnet und möchte diese Kombination auch nicht mehr missen.

Im Gespräch mit Kim Dressendörfer, Senior Account Technical Leader bei IBM

In unserer Interview-Reihe „Frauen in Tech“ haben wir dieses Mal Kim Dressendörfer zu Gast. Dressendörfer gibt spannende Einblicke in ihre Arbeit als Senior Account Technical Leader bei IBM in New York und erklärt, was sich hinter ihrem Blog „A Woman in AI“ verbirgt. Außerdem verrät uns die Preisträgerin des eco://award in der Kategorie #LiT – Ladies in Tech mehr zum Thema Trustworthy AI, wie man sie einsetzt und was das mit Diversität zu tun hat.


Du bist Senior Account Technical Leader bei IBM seit Juni 2022 in New York, zuvor warst Du für IBM Deutschland tätig hast MVPs im Bereich AI gemeinsam mit Kunden entwickelt. Was ist das Spannende an deinem Job?

Kim Dressendörfer: Was ich an meinem Job besonders cool finde, ist die große Flexibilität und die Tatsache, dass ich mit AI arbeiten kann. Und zwar auf einem Level, wo wir wirklich von neuen Innovationen reden, von Lösungen, die noch nie gebaut wurden. Ich arbeite mit Kunden zusammen, die vor Problemen und Herausforderungen stehen und noch keine Ahnung haben, wie sie diese lösen sollen. Diese Flexibilität zu haben und zu sagen: „Ok, wir wissen noch nicht, ob das funktioniert, aber wir probieren das jetzt.“ Das ist etwas, was ich in meiner vorherigen Rolle gemacht habe und was wirklich sehr innovativ war und das hat auch unglaublich viel Spaß gemacht. Wir haben sehr stark mit Daten gearbeitet, die auf dem menschlichen Level sehr schwer zu analysieren waren, aber auf einem maschinen-lesbaren Level wiederum zu neuen Insights geführt haben. All diese Relationen und Korrelationen herauszufinden, in wie vielen Dimensionen diese Daten zusammenhängen, das ist sozusagen mein Day-to-day-Business. Was ich hier jetzt in Amerika mache, ist im Prinzip das gleiche, nur auf einem deutlich breiteren Level, weil ich jetzt unter anderem Firmen bei ihren Fünf-Jahres-Strategien unterstütze. Ich covere jetzt von der technischen Seite neunzehn Accounts, arbeite sehr eng mit meinen Kunden zusammen, um Probleme zu identifizieren und sie dann zu lösen. Diese Probleme sind nicht nur im AI-Bereich, sondern erstrecken sich von Security, Hardware, Data Fabric, Cloud, AI und vielem mehr. Aber diese Herausforderung macht mir unheimlich viel Spaß.


Du betreibst selbst einen Blog unter dem Namen „A Woman in AI“, in dem du auch weibliche Role Models der Tech-Szene interviewst. Wie kam es dazu und was verbirgt sich hinter „A Woman in AI“?

Kim Dressendörfer: Ich war in Meetings bei Kunden häufig die einzige Frau. Das war für mich einerseits von Vorteil, weil es mir viele Chancen eröffnet hat. Dadurch habe ich unheimlich schnell sehr viel gelernt. Nichtsdestotrotz hatte ich dieses Dilemma und die Frage war stets sehr präsent: Warum bin ich die einzige Frau?  Was sind die Ursachen dafür? Eine Erkenntnis war, dass es an weiblichen Role Models fehlt. Auch in der Filmbranche werden Rollen stereotyp besetzt. Die Assistentin oder Sekretärin ist weiblich, der coole Hacker oder Chef ist natürlich ein Mann. Man sieht häufig diese riesigen Marketing-Kampagnen von tollen Produkten in der IT, man sieht aber nicht die Story dahinter – die Mitarbeiter, die es gebaut haben. Man sieht nicht das Day-to day -Business und die vielen tollen Frauen, die wirklich tolle Arbeit leisten.

Ich habe mich gefragt: Warum weiß keiner, dass wir so viele tolle Frauen in der AI haben? Die Lösung war eindeutig: Wir müssen diese Frauen sichtbar machen. Wir müssen sie interviewen und als Role Model aufbauen. Deshalb habe ich „A Woman in AI“ gegründet und gesagt: Ich zeige alle diese inspirierenden Frauen, die in der AI arbeiten und schaffe zeitgleich Visibilität für die vielfältigen Rollen in der AI. Es ist nicht immer alles rosarot, wir sprechen in den Interviews auch über schwierige Situationen wie Depressionen oder einen Neustart mit 50, sprechen über die Herausforderungen für Mütter Kind und Karriere zu vereinen. Wir sprechen natürlich auch darüber, wie diese Frauen darauf gekommen sind, bestimmte AI-Lösung zu bauen. Mein Ziel ist, dass Menschen sich diese Interviews anhören und sagen: „Wow, diesen Karrierepfad gibt es, das wusste ich zuvor nicht, aber richtig cool, das interessiert mich, vielleicht mache ich das auch.“ Denn das Tolle an der AI ist, dass es so viele verschiedene Bereiche gibt, in denen man arbeiten und seine Kreativität einsetzen kann.


Du hast lange für IBM in Deutschland gearbeitet, seit Juni 2022 bist Du als Senior Account Technical Leader bei IBM in New York. Kannst Du Unterschiede in Deutschland gegenüber den USA feststellen, was das Thema Diversity und Women in Tech betrifft?

Kim Dressendörfer: Auf jeden Fall. Erstens nehme ich wahr, dass Innovationen in Amerika wirklich stärker gefördert werden und Potenziale von Technologien eher erkannt werden. In Bezug auf Women in Tech aus meiner persönlichen Erfahrung: Mein Job in New York macht mir unheimlich viel Spaß und ich hatte hier noch kein einziges negatives Erlebnis. Wenn ich hier in ein Meeting gehe, dann werde ich vorgestellt als Expertin und werde nicht gejudgt. Ich werde respektiert als die Expertin, ohne mich zuvor in irgendeiner Weise behaupten zu müssen. Das mag mitunter auch daran liegen, dass die Kunden, mit denen ich bei IBM zusammenarbeite, sehr stark für Diversität stehen. Ich glaube auch, dass es in den USA generell stärkere soziale Movements für Diversität gibt, sodass man  sich gewisse Dinge einfach nicht mehr erlauben kann, was in Deutschland aus meiner Sicht noch nicht so der Fall ist. Es kann natürlich auch sein, dass ich nach sehr vielen Jahren in Deutschland und jetzt sechs Monaten in Amerika noch ein bisschen die rosarote Brille aufhabe, aber bisher ist es eine sehr angenehme Erfahrung.


Du hast es schon selbst angesprochen, es ist nicht immer alles rosarot. Frauen sollen in Meetings beispielsweise Protokolle übernehmen, obwohl dies nicht ihrer beruflichen Rolle entspricht oder werden für die Assistentin gehalten das passiert der Gründerin beim Investoren-Pitch genauso wie der Tech-Spezialistin im Kundenmeeting. Hand aufs Herz: Hast du so etwas auch schon erlebt? Und wenn ja, wie lautet dein Tipp, damit souverän umzugehen?

Kim Dressendörfer: Definitiv. Es gab zum Beispiel Situationen, wo ich reingekommen bin und es hieß: „Ach super, wir brauchen jemanden, der Notizen macht.“ oder „Was hast du denn studiert? Marketing?!“ oder dass ich als Frau auf beruflichen Plattformen oder im professionellen Kontext auf mein Äußeres reduziert werde. Eben klassisches Stereotypen-Denken, wo ich denke, das kann doch nicht sein. Was mich daran besonders stört ist: Als Frauen dürfen wir uns keine Fehler erlauben. Denn dann heißt es direkt: „Das war ja klar, Du bist die junge Frau, die Lippenstift trägt. Warum bist Du in dieser Branche? Du passt hier nicht rein.“ Als Frau muss ich in Meetings immer 110 Prozent geben, muss top vorbereitet sein, muss immer alle Eventualitäten und Einwände in einer Präsentation mitdenken und alle Themenbereiche und Antworten parat haben. Mir persönlich hat das auf der anderen Seite mega geholfen, an diese Rolle zu kommen, weil ich einfach ultraorganisiert bin und weiß, auf welche Dinge ich achten muss. Auf der anderen Seite, wenn du nicht das dicke Fell dafür hast zu sagen: Ich kann das ab und ich habe einen guten Spruch parat und bin ein bisschen frech, dann wird es wirklich schwierig. Man braucht wirklich ein dickes Fell, um diese Themen nicht persönlich zu nehmen.

Wenn dir als Frau jemand entgegnet: „Sie sind die Architektin? Aber Sie sind doch eine Frau.“ Dann sage ich: „Was haben Sie denn erwartet? Jemand eckiges?“, um eben ganz klar wegzukommen von diesem Rollenklischee und klarzumachen, was das für ein dummer Spruch ist, den du da gerade gebracht hast. Ich hatte unglaubliches Glück, dass meine Eltern mich und meine Schwestern immer gepusht haben. Uns ist immer beigebracht worden: „Hey, die Welt ist männerdominiert, ihr müsst stark sein.“ Wenn man dieses Privileg nicht hat, dann ist das nicht leicht. Es ist leicht zu sagen, man darf sich da nicht unterkriegen lassen. Aber wie macht man das? Mein Tipp lautet: Du musst wissen, dass du gut bist. Dein Gegenüber: Was weiß der schon? Überspitzt formuliert: Dein Gegenüber hat keine Ahnung von Tuten und Blasen. Viele Menschen, die dir im beruflichen Alltag begegnen, sind nicht so schlau wie sie sich geben. Derjenige hat keine Ahnung, vom dem, was du jeden Tag machst,. Daher selbstbewusst reingehen, wissen ich habe die Skills, die Abschlüsse, die Erfahrungen und ich bin gut, in dem was ich tue.


Ob in Leitmedien, auf LinkedIn oder im Lehrerzimmer: Chat GPT ist in aller Munde. Mancher Tech-Konzern sorgt sich um sein Geschäftsmodell. Universitäten, Schulen, Lehrer gehen auf die Barrikaden. Auf LinkedIn finden Marketer oder SEO-Spezialisten kreative Wege, die Technologie für sich zu nutzen. Unklar bleibt zwar, wie sich die Technologie auswirken wird. Du als absolute AI-Expertin: Was hältst du von Chat GPT und welche Entwicklungen sind zu erwarten?

Kim Dressendörfer: Betrachten wir das mal aus einen höheren Perspektive: Es hat in der Historie stets Technologien gegeben, die ganze Lebens- und Arbeitsbereiche revolutioniert haben. Google beispielsweise hat die Suche nach Wissen und Informationen revolutioniert. Wir brauchen heutzutage keine gedruckten Lexika mehr oder Yellow Pages oder nutzen E-Mail anstatt Faxe oder Briefe. Wir wissen jetzt schon seit Ewigkeiten, dass AI kommen wird. Bei IBM haben wir den ersten Chat-Bot bereits in den 70er Jahren entwickelt. AI ist kein neues Thema. Was gerade passiert, ist, dass AI sehr real ist, anfassbar und ausprobierbar für alle. Jeder Mensch kann Chat GPT nutzen. Vorher war AI häufig eher ein Business Case, um Prozesse effizienter zu machen, um Ressourcen und Geld zu sparen.

Ich freue mich sehr, dass alle jetzt erfahren können: AI ist da, es ist für jedermann und jeder kann damit anfangen, es ausprobieren und es nutzen. Ich finde es auch super, wenn Kinder AI kennenlernen, denn das ist die Zukunft und das Bildungssystem muss so oder so revolutioniert werden. Was ich viel wichtiger finde, ist die ethische Seite. Das impliziert Antworten auf die Fragen: Was geht mit dem Einsatz von AI einher? Was wird durch die Technologie ersetzt? Was ist moralisch verantwortbar?

Wir denken beim Einsatz von AI beispielsweise daran, E-Mails zu automatisieren, effizienter zu arbeiten und viele Tätigkeiten und Routineaufgaben stark zu vereinfachen. Was wir jedoch mitunter vergessen, ist, was ist mit Menschen, die diese Technologie ausnutzen. Wir brauchen einen regulativen Rahmen für die Nutzung von AI. Es braucht Antworten auf die Fragen: Wie machst du AI sicher? Wie reglementiert du es? Wie stellst du sicher, dass es nicht in einen Hass-Chat-Bot umfunktioniert wird oder genutzt wird, um Mobbing oder Rassismus zu verbreiten. Das sind eher Dinge, mit denen wir uns beschäftigen müssen. Bei uns bei IBM ist Truthworthy AI ein ganz wichtiges Thema und fest im Tätigkeitsfeld aller AI-Spezialisten bei uns verankert. Wir haben unsere AI Pillar. Das ist so fundamental und superwichtig. Das haben aber nicht alle Unternehmen. Trustworthy AI, die Auseinandersetzung mit ethischen Fragestellungen und Regulierung sind jedoch unerlässlich.

Und zum Thema: Ich habe gerade erst einen Bericht auf Medium veröffentlicht, wo ich die fünfzehn besten AI- Tools vorgestellt habe.


AI repräsentiert und verarbeitet Daten aus der Vergangenheit. Das kann mitunter problematisch sein. Wenn jetzt beispielsweise die Job-Engine gelernt hat, dass die hochdotierten Jobs immer Michael Mustermann bekommt und nicht Sabine Mustermann. Dann potenziert AI unsere menschlichen Vorurteile aus der Vergangenheit. Was müssen wir diesbezüglich beachten?

Kim Dressendörfer: Das geht ebenfalls in die Richtung Diversität. Wenn du ein Modell baust und trainierst, musst du als Entwickler genau wissen, mit welchen Daten du arbeitest und welche Daten du verwendest, um dein Modell zu trainieren. Daten müssen ausgewogen und heterogen sein: Es muss genau gleich verteilt sein, Männer und Frauen, alle Nationalitäten und so weiter. Das ist es, was einen guten AI-Mechanismus ausmacht. Deshalb dauert eine AI-Entwicklung eben auch mitunter lange, weil du unheimlich viel trainieren und testen musst, damit du alle Aspekte auch wirklich abdeckst. Erst dann ist deine AI auch bullet proofed und gut.

Das andere entscheidende Kriterium ist Diversität im Team. Das beste Beispiel ist der männliche Crashtest-Dummy oder die Apple Watch, die keinen Perioden-Zyklustracker integriert hatte. Das sind einfach Beispiele, wo schnell klar wird, da war ein rein männliches Team am Werk. Jeder ist geprägt durch seine Sozialisation, seine Herkunft. Wir haben alle unsere Bubble und selektive Wahrnehmungsbrille, aus der wir Dinge wahrnehmen. Menschen mit anderen heterogenen Lebenswegen und -erfahrungen gucken anders drauf, daher muss ein Team genauso aussehen wie wenn wir durch die Straßen schauen, sehr divers und viele Altersklassen.


Was ist dein schönster Use Case für das Gute an der Digitalisierung und AI?

Kim Dressendörfer: Es gibt es so unendliche viele positive Beispiele. AI hat so viel Potenzial für schwierige und brennende gesellschaftliche Herausforderungen Lösungen anzubieten. Allein wenn wir uns das Thema Sustainability ansehen. Zum Beispiel anhand des Themas Agricultural Farming, das hat unglaublich viel Potenzial. Wenn wir beispielsweise mithilfe von AI und IoT-Sensoren ermitteln können, wie viel Wasser und welche Nährstoffe eine Landfläche wirklich braucht, um beste Ernteerträge erzielen zu können und zugleich Ressourcen schonen.

Große Potenziale durch AI sehe ich auch für das Gesundheitssystem. Das Gesundheitssystem läuft  zum Beispiel in Amerika völlig aus dem Ruder, weil immer weniger Ärzte und Pflegepersonal immer mehr Patienten und Pflegebedürftigen gegenüberstehen. IBM engagiert sich im Health-Bereich beispielsweise im Bereich Onkologie- und Brustkrebserkennung. Ebenso hat IBM AI-basierte Technologien, die basierend auf der Historie, auf Daten zu Medikamenten, Allergien, Alter, Operationen usw., herausfinden, welche Behandlungsmethode die beste für den Patienten ist. Viele Lösungen sind bereits da. Sie müssen jetzt nur Eingang in den Mainstream finden.

Anupama Ray eine Kollegin von IBM in Indien, die ich für „A Woman in AI“ interviewt habe, hat eine Plattform entwickelt, die Betroffenen von Child Trafficking (Kinderhandel) hilft. In Deutschland ist das Thema vielleicht nicht so präsent, da unsere Medien das Thema nicht covern, aber in Indien ist Child Trafficking ein riesiges Problem. Ray hat ein Algorithmus-basiertes Matching-System gebaut, das traumatisierte Kinder mit emotional intelligenten Menschen zusammenbringt, die diesen Kindern helfen.


Wir geben Dir jetzt mal einen weiteren interessanten Job und machen dich zur Chefredakteurin eines Leitmediums der New York Times oder zum Host deines Lieblings-Podcast oder TV-Show mit Mega-Reichweite: Du darfst einladen, wen du möchtest – egal ob tot oder lebendig. Mit wem sprichst du und über was?

Kim Dressendörfer: Es gibt so unheimliche viele Menschen, mit denen ich gerne sprechen würde. Ich würde mich so gerne mit Mahatma Ghandi, mit Albert Einstein oder Ruth Bader Ginsburg unterhalten, was ja leider nicht mehr möglich ist. Aufgrund der Tatsache, dass ich unheimlich gerne helfen würde, möchte ich unbedingt die Menschenrechtsanwältin Amal Clooney einladen. Es gibt so viele Menschen, die ihre Hilfe brauchen und sie verteidigt so unheimlich viele davon. Ich würde gerne mit ihr gemeinsam herausfinden, ob man nicht einen Algorithmus oder ein Modell bauen kann, das auf ihren Verteidigungsmethoden basiert – oder sich zumindest einzelne Schritte wie die Einreichung der Anklage automatisieren lassen – , um mehr Menschen helfen zu können. 


Wir möchten gerne auch deine Aspekte und Fragen in die Diversity-Debatte einbringen. Welche Frage möchtest du uns in diesem Zusammenhang für die nächste Interview-Partner:in mitgeben?

Kim Dressendörfer: In meinen Gesprächen mit Frauen aus der Tech-Branche stellt sich sehr häufig heraus: Keine hat damit gerechnet, dass sie in dieser Branche landet. Daher lautet meine Frage: Wann hast du realisiert, dass es die Tech-Branche ist, in der du arbeiten möchtest?


Vielen herzlichen Dank für das Interview!

Warum bin ich die einzige Frau?  Was sind die Ursachen dafür? Eine Erkenntnis war, dass es an weiblichen Role Models fehlt.

Deshalb habe ich „A Woman in AI“ gegründet und gesagt: Ich zeige alle diese inspirierenden Frauen, die in der AI arbeiten und schaffe zeitgleich Visibilität für die vielfältigen Rollen in der AI.

Wenn ich hier in ein Meeting gehe, dann werde ich vorgestellt als Expertin und werde nicht gejudgt. Ich werde respektiert als die Expertin, ohne mich zuvor in irgendeiner Weise behaupten zu müssen.

Als Frau muss ich in Meetings immer 110 Prozent geben, muss top vorbereitet sein, muss immer alle Eventualitäten und Einwände in einer Präsentation mitdenken und alle Themenbereiche und Antworten parat haben.

Mein Tipp lautet: Du musst wissen, dass du gut bist. Dein Gegenüber: Was weiß der schon? Überspitzt formuliert: Dein Gegenüber hat keine Ahnung von Tuten und Blasen.

AI ist kein neues Thema. Was gerade passiert, ist, dass AI sehr real ist, anfassbar und ausprobierbar für alle. Jeder Mensch kann Chat GPT nutzen.

Bei uns bei IBM ist Truthworthy AI ein ganz wichtiges Thema und fest im Tätigkeitsfeld aller AI-Spezialisten bei uns verankert.

AI hat so viel Potenzial für schwierige und brennende gesellschaftliche Herausforderungen Lösungen anzubieten. Allein wenn wir uns das Thema Sustainability ansehen.

Das beste Beispiel ist der männliche Crashtest-Dummy oder die Apple Watch, die keinen Perioden-Zyklustracker integriert hatte. Das sind einfach Beispiele, wo schnell klar wird, da war ein rein männliches Team am Werk.

Lisa-Marie Ihnen

Im Gespräch mit Lisa-Marie Ihnen, Business Development und Portfolio Managerin, Proact

In unserem Interview berichtet Lisa-Marie Ihnen über ihren vielseitigen Arbeitsalltag als Business Development und Portfolio Managerin bei Proact und gibt Tipps für einen erfolgreichen Karriereeinstieg in der Tech-Branche. Außerdem erzählt sie uns von ihrer Erfahrung mit dem Thema Mentoring.


Stell dich und deinen Werdegang in die IT bitte kurz vor.

Lisa-Marie Ihnen: Mein Name ist Lisa-Marie Ihnen, ich bin 27 Jahre alt und arbeite als Business Development und Portfolio Managerin bei Proact. Bis 2017 habe ich dual bei Bosch Sicherheitssysteme Wirtschaftsinformatik studiert, weil mich sowohl die technische als auch die wirtschaftliche Richtung interessiert hat. Das duale Studium hat mir zudem ermöglicht direkt auch praktische Erfahrung zu sammeln. Bevor ich dann zur ahd (heute Teil der Proact) gewechselt bin, habe ich zweieinhalb Jahre im Software Consulting gearbeitet und dabei verschiedenste Aufgaben übernommen: vom Customizing, über die Schulung der Mitarbeitenden bis hin zum Support. Wenn ich heute Berufseinsteigerin wäre, würde ich mich zu 100 Prozent wieder für die Tech-Branche entscheiden. 

Mein Wirtschaftsinformatik-Studiengang hat mir den Rahmen offengehalten, mich mehr in die eine oder in die andere Richtung zu orientieren. Diese offene Jobgestaltung macht mir einfach sehr viel Spaß und ich habe die Möglichkeit mich stetig weiterzuentwickeln, was mir persönlich sehr wichtig ist.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag von Dir aus? Und was ist das besonders Spannende an deinem Job?

Lisa-Marie Ihnen: Das Spannendste an meinem Job ist tatsächlich, dass es für mich keinen typischen Arbeitstag gibt. Mein Tätigkeitsfeld ist sehr vielseitig: Das reicht von strategischen Themen bis in den Marketingbereich, wo ich beispielsweise Input für Landingpages gebe, beim Texten unterstütze oder Storylines in PowerPoint entwickle. Seit September verantworte ich außerdem deutschlandweit unser Portfolio und arbeite unter anderem an den Leistungsbeschreibungen unserer Managed Services. Zudem treibt mich die Fragestellung: Wie stellen wir unser Portfolio am besten vor? Um einen guten Überblick zu bekommen und die Realität wahrheitsgetreu abbilden zu können, habe ich auch viele Kontaktpunkte mit technischen Kollegen, was mich freut.

Meine berufliche Rolle ist, wie zuvor schon angedeutet, sehr kommunikativ, da ich stark in interne Abstimmungsprozesse involviert bin und sowohl intern wie extern eine Vermittlungsrolle einnehme. Ich habe aber auch durchaus Tage, wo ich komplett für mich arbeite, schreibe, konzipiere oder Dokumente prüfe. Genau diese Abwechslung liegt mir sehr und macht meinen Job für mich besonders spannend.

Wenn sich andere Frauen jetzt durch deinen Karriereweg inspiriert fühlen, auch in die Branche einzusteigen: Wie lauten deine Top drei Karriere-Tipps an Frauen, die in der IT sind oder die noch in die IT einsteigen wollen?

Lisa-Marie Ihnen: Erst einmal sollte niemand Angst vor der IT haben, weil es sich vermeintlich um eine Männerdomäne handelt. Es gibt verschiedenste Möglichkeiten sich zu entwickeln, wodurch jeder, der Begeisterung für Technik mitbringt, seine Rolle finden kann.

Zweitens ist es keine Voraussetzung genau zu wissen, wo der eigene Weg hingehen soll. Es ist vollkommen okay, erst einmal einzusteigen, sich auszuprobieren und zu schauen: In welche Richtung will ich gehen? Wo liegen meine Stärken und was macht mir am meisten Spaß? Ich bin beispielsweise keine leidenschaftliche Programmiererin. Ich kann Code lesen, aber es ist nicht das, wofür ich brenne. Das Programmieren überlasse ich daher lieber den Kollegen, die darin wirklich gut sind und die entsprechend Spaß daran haben. Stattdessen habe ich mir meine Nische gesucht, wo ich meine Stärken einsetzen kann.

Mein dritter Tipp lautet: Die eigene Weiterentwicklung aktiv anzugehen. Also proaktiv auf Vorgesetze zugehen und auch einmal abzufragen: Welche Stärken habe ich aus deiner Sicht? Was glaubst du, was kann ich richtig gut? Was zeichnet mich aus und in welche Richtung kann ich mich weiterentwickeln? Es ist sehr wichtig, da klare Signale in Richtung der Führungskraft zu setzen und deutlich zu artikulieren: Ich möchte mich weiterentwickeln und auch zu kommunizieren, was das eigene Ziel ist (wenn einem dieses schon bekannt ist).

Als letztes noch ein Bonus-Tipp, auf den wir gleich noch zu sprechen kommen: Sucht euch Mentor:innen, die euch auf dem Weg begleiten und euch bei Fragen mit Ratschlägen und ihren Erfahrungen zur Seite stehen.

Was könnte helfen, dass wir mehr Frauen für die IT gewinnen?

Lisa-Marie Ihnen: Tatsächlich fände ich es wichtig, wenn bereits in den Elternhäusern und Bildungseinrichtungen etwas passieren würde. Meine Eltern haben von Anfang an kommuniziert: Du kannst alles schaffen und wenn Technik dich begeistert, dann wirst du da deinen Weg gehen. Zudem sehe ich auch die Schule als prägenden Faktor: Ich selbst hatte Bionik als Unterrichtsfach, in dem ich mit Fischer Technik bauen durfte und ich war total traurig, wenn ich dieses Fach nicht besuchen konnte. Das lag unter anderem auch an meiner tollen Lehrkraft, die frisch von der Uni kam, sehr motiviert war und die Begeisterung für das ganze Thema „IT und Tech“ ein bisschen mehr bei mir entfacht hat.

Ansonsten sollten für junge Menschen auch mehr Möglichkeit geschaffen werden, wirklich praktische Einblicke in IT und Tech zu gewinnen, beispielsweise durch Aktionstage wie den Girls’ Day. Gesellschaftliche Präsenz von weiblichen Vorbildern in Tech ist ein weiterer ganz zentraler Punkt, weil Vorbildern in der Tech-Welt, in den Medien, in der Familie und dem Freundeskreis, dann als Inspiration und Ansprechpartner für die Karriereperspektiven von Mädchen und Frauen in Tech dienen können.

Vorbilder ist auch ein gutes Stichwort. Gibt es für dich selber Vorbilder innerhalb der IT- Branche, wo du sagst, die finde ich wirklich richtig spannend?

Lisa-Marie Ihnen: Für mich gab es tatsächlich nie diese eine Person, an der ich mich orientiert habe. Ich wollte für mich selbst einfach kein starr definiertes Zielbild schaffen. Es gibt aber immer wieder Menschen, die mich inspirieren, weil sie sich spannenden Themen widmen, wie zum Beispiel Céline Flores Willers im Bereich Social Media und Personal Branding. Meine Mentorin inspiriert mich ebenfalls, weil ich es mich beeindruckt, wie sie auch mit herausfordernden Themen selbstbewusst umgeht und auch bewusst schwierige Themen angeht und diese nicht meidet.

Wie findet man am besten eine Mentorin und was bringt Mentoring?

Lisa-Marie Ihnen: Seitdem ich berufstätig bin, hätte ich gerne einen Mentor oder eine Mentorin an meiner Seite gehabt. Allerdings wusste ich nicht, wie ich das Thema angehen soll bis ich letztes Jahr an einem #LiT – Ladies in Tech Event zum Thema Mentoring teilgenommen habe. Über das Event ist dann auch mein Mentoring-Tandem mit Evgeniya Ettinger von Oracle zustande gekommen. Wir haben beide schnell festgestellt, dass die Chemie stimmt und dass es sowohl auf menschlicher als auch auf fachlicher Ebene sehr gut passt.

Ich finde, der größte Vorteil des Mentorings ist, eine gewisse Neutralität – losgelöst von den Menschen und Organisationsstrukturen des eigenen Unternehmens – zu erfahren und eine andere Perspektive und Einschätzung zu meinen Themen zu erhalten. Manche Themen lassen sich mit einer neutralen Sichtweise einfach besser klären. Es hilft auch in 90 Prozent der Fälle festzustellen, dass mein Gegenüber bereits eine ähnliche Herausforderung oder Situation erlebt hat und dann von der Erfahrung partizipieren zu können.

Durch das Mentoring bin ich zudem viel proaktiver geworden. Ich bin inzwischen der festen Überzeugung, dass es ganz wichtig ist Themen proaktiv anzugehen, wenn du dich entwickeln möchtest und die nächste Stufe erreichen willst. Auch in diesem Kontext hat mir das Mentoring weitergeholfen.

Du bist auch als Speakerin auf Tech-Bühnen unterwegs und in unserem Speakerinnen-Verzeichnis. Warum brauchen wir aus deiner Sicht mehr Frauen auf Tech-Bühnen?

Lisa-Marie Ihnen: Diversität in allen Dimensionen und mehr Frauen auf Tech-Bühnen sorgen nochmal für andere Perspektiven und Impulse. Demnächst stehe ich zum Beispiel gemeinsam mit unserem CTO Marcus Bengsch auf der Tech-Bühne. Wir haben einfach festgestellt, dass es eine ganz andere Dynamik erzeugt mit zwei Menschen auf der Bühne zu sein. Aus meiner Sicht brauchen wir diese Vielfalt der Darstellungs- und Sichtweisen, um verschiedenen Perspektiven eine Stimme zu geben und noch mehr Insights teilen zu können.

Dr. Fritzschke, Tech-Ambassador bei OTTO hat uns folgende Frage für Dich mitgegeben: Welche Strategie hast du, um mehr Frauen und mehr Quereinsteigerinnen für die Tech-Welt zu gewinnen? Welche Strategie fährt dein Unternehmen, um das wirklich umzusetzen?

Lisa-Marie Ihnen: Zu unseren Strategien in diesem Bereich kann unsere HR-Abteilung sicherlich viel mehr sagen. Was ich persönlich als sehr positiv wahrnehme, ist, dass Lernen bei uns im Fokus steht. Jeder bei uns erhält einen LinkedIn Learning Account, wobei der Arbeitgeber die Kosten für diesen Account trägt. Zudem bekommen wir zur Weiterbildung auch zeitliche Ressourcen: Pro Monat können wir uns einen Tag von operativen und strategischen Aufgaben freinehmen und uns ganz der Weiterbildung widmen. Das ist jedoch kein spezielles Angebot für Frauen, sondern für alle Mitarbeitenden.

Wir möchten gerne auch Deine Aspekte und Fragen in die Diversity-Debatte einbringen. Welche Frage möchtest Du uns in diesem Zusammenhang für die nächste Interview-Partner:in mitgeben?

Lisa-Marie Ihnen: Ich stelle in meinem Freundes- und Bekanntenkreis zunehmend fest, dass das Thema Mentoring an Relevanz gewinnt. Es ist für viele Bewerber ein ausschlaggebender Faktor, ob es ein Mentoring-Programm beim potentiellen neuen Arbeitgeber gibt oder nicht. Daher lautet meine Frage. Wie wird das Thema Mentoring (intern oder durch externe Ressourcen) bei dir im Unternehmen gesehen und ggf. umgesetzt?

Vielen Dank für Deine Zeit und das Interview!

Wenn ich heute Berufseinsteigerin wäre, würde ich mich zu 100 Prozent wieder für die Tech-Branche entscheiden. 

Es gibt verschiedenste Möglichkeiten sich zu entwickeln, wodurch jeder, der Begeisterung für Technik mitbringt, seine Rolle finden kann.

Es ist vollkommen okay, erst einmal einzusteigen, sich auszuprobieren und zu schauen: In welche Richtung will ich gehen? Wo liegen meine Stärken und was macht mir am meisten Spaß?

Meine Eltern haben von Anfang an kommuniziert: Du kannst alles schaffen und wenn Technik dich begeistert, dann wirst du da deinen Weg gehen.

Ansonsten sollten für junge Menschen auch mehr Möglichkeit geschaffen werden, wirklich praktische Einblicke in IT und Tech zu gewinnen, beispielsweise durch Aktionstage wie den Girls’ Day.

Es gibt aber immer wieder Menschen, die mich inspirieren, weil sie sich spannenden Themen widmen, wie zum Beispiel Céline Flores Willers im Bereich Social Media und Personal Branding.

Ich finde, der größte Vorteil des Mentorings ist, eine gewisse Neutralität – losgelöst von den Menschen und Organisationsstrukturen des eigenen Unternehmens – zu erfahren und eine andere Perspektive und Einschätzung zu meinen Themen zu erhalten.

Diversität in allen Dimensionen und mehr Frauen auf Tech-Bühnen sorgen nochmal für andere Perspektiven und Impulse.

Dr. Frederike Fritzsche 2

Im Gespräch mit Dr. Frederike Fritzsche, Tech Ambassador, OTTO

Dr. Frederike Fritzsche ist Tech Ambassador bei dem Tech-Unternehmen OTTO und vertritt als Corporate-Influencerin das Unternehmen auf Konferenzen und Social Media. In unserem Interview geht es um ihr Engagement in der OTTO Initiative PLAN F, ihre Tipps für einen Quereinstieg in Tech und wie man seine Sichtbarkeit steigert.


Sie sind Tech Ambassador bei OTTO. Wie kam es dazu und was ist Ihre Aufgabe?

Dr. Frederike Fritzsche: Ich bin selbst Quereinsteigerin in der IT. Meine Learnings und mein Wissen über Tech-Themen habe ich schon immer mit viel Freude und Engagement mit anderen geteilt. Vor zwei Jahren haben wir  uns intern forciert die Frage gestellt: Wie können wir unsere Tech-Themen noch stärker in den Vordergrund stellen und in welchen Formaten können wir darüber berichten? So sind das Konzept und die Rolle des Tech Ambassador entstanden. Unser CIO Dr. Michael Müller-Wünsch ist dann auf mich zugekommen – und das war mein Weg zum Tech Ambassador bei OTTO.

In meiner Rolle als Tech Ambassador trage ich unsere Tech-Themen in die Öffentlichkeit und schaue, welche Innovationsbereiche, -diskussionen und Events für uns als Unternehmen spannend sein könnten. Das Ziel ist  es, die Themen von OTTO öffentlich zu machen und Menschen für Tech, IT und BI sowie unser Unternehmen zu begeistern. So trage ich meinen Teil dazu bei, unsere Positionierung zu schärfen und klar zu machen: Wir sind ein modernes Tech-Unternehmen und eben schon lange kein Versandhändler aus der Katalog-Ära mehr. Ich bin – wie gesagt – Tech- Quereinsteigerin und zudem noch Mutter, also  ein authentisches Role Model, um Frauen für eine IT-Karriere zu inspirieren. Mehr Frauen für technikgeprägte Berufsbilder zu begeistern ist erstens ein klares Herzensthema von mir und zweitens ein Thema, das wir stärker betonen möchten.  

Sie engagieren sich in der OTTO internen Initiative PLAN F, die sich für mehr Frauen in der IT stark macht. Wie gehen Sie das Thema bei OTTO konkret an?

Dr. Fritzsche: Unser CIO Dr. Michael Müller-Wünsch hat das Ziel vorgegeben, zukünftig 50 Prozent der offenen Tech-Stellen bei OTTO mit Frauen zu besetzen. Das ist sicherlich ein ehrgeiziges Ziel. Andererseits sind es häufig ja eben große Ziele und Ambitionen, die ein Umdenken bewirken.

Wir haben also zunächst analysiert, was wir bereits tun, um den Frauenanteil in Tech-Bereichen zu erhöhen und welche Instrumente wir dazu verstärkend noch einsetzen können? Beispielsweise Veränderungen im Recruiting: Klar, wir gendern in unseren Stellenanzeigen, aber worauf achten Frauen wirklich? Welche Formulierungen wirken auf die Zielgruppe eher abschreckend? Welche Begriffe in Stellenanzeigen sind eher männlich-konnotiert? Analysen zeigen, dass Frauen 90 Prozent der Stellenanzeigen lesen, Männer hingegen nur 30 Prozent. Ergo: Wir müssen auf Frauen im Recruiting anders eingehen, mehr Fragen antizipieren, umfassender zum Aufgabenfeld informieren.

Fest steht auch: Frauen ziehen Frauen an. Daher beschreiben wir in unseren Stellenanzeigen die Teambesetzung, die z. B. aus einer Analystin, einem Backend-Developer, einem Frontend-Developer und einer Projektmanagerin besteht. So wird klar, dass es bereits Frauen im Team gibt und eine Unternehmenskultur existiert, die Diversität im Aspekt Gender fördert.

Mehr Frauen für Tech bei OTTO zu begeistern impliziert auch, dass wir uns manchmal bewusst mehr Zeit nehmen, um vakante Stellen zu besetzen. Darin  besteht aus meiner Sicht die größte Herausforderung. Es geht nicht darum Männer abzulehnen, aber deutlich zu machen: Wir brauchen auch Bewerbungen von Frauen, von denen wir aber weniger erhalten. Also braucht der Besetzungsprozess unter Umständen länger. In der Hinsicht haben wir auch den uneingeschränkten Support unseres CIO. An erster Stelle steht für ihn, dass wir ein ausgewogenes, diverses Team werden. Zudem geht es nicht nur um Frauen, die schon als Professional in der IT unterwegs sind, sondern auch um Quer- und Neueinsteigerinnen. Da müssen sich Unternehmen auch positionieren und überlegen, wie viel sie investieren wollen: 2021 belief sich die Anzahl offener Stellen für IT-Experten auf 96.000. Wenn wir diese Stellen besetzen wollen, müssen wir uns auch Quereinsteigern öffnen und das Potenzial von mehr Frauen in der IT im Allgemeinen erkennen.  

Sie sind selbst Quereinsteigerin in Tech. Was raten Sie Menschen, die über einen Quereinstieg in Tech nachdenken?

Dr. Fritzsche: Ich glaube, das Wichtigste ist ein Netzwerk zu haben oder sich ein Netzwerk aufzubauen, um sich mit Menschen aus der Tech-Welt auszutauschen. Es hilft immer, sich Role Models zu suchen und zu fragen: Wie habt ihr das geschafft? Wie seid ihr vorgegangen? Erste Kontakte lassen sich leicht über entsprechende Initiativen knüpfen, die den Austausch von Frauen in Tech fördern und Best Practices für den Einstieg oder Quereinstieg in die Branche aufzeigen. Neben Netzwerktreffen empfiehlt es sich auch, an Bootcamps oder Sessions teilzunehmen. Wir haben eine ganze Reihe von Quereinsteigerinnen bei OTTO. Eine Kollegin von mir kommt bespielsweise ursprünglich aus dem Marketing und ist jetzt Entwicklern. Sie hat verschiedene Bootcamps absolviert und sich stets Ansprechpartner:innen gesucht, um zu erfahren: Was brauche ich, damit ich diesen Job machen kann? Wie soll ich mich weiterbilden, damit ich zukünftig als Entwicklerin gesehen werde? Eine andere Kollegin war im Gesundheitsmanagement tätig und ist jetzt Junior-Entwicklerin. Viele finden auch über unser Event-Format develop <HER> den Weg in die Entwicklung.

Es ist wichtig zu wissen, auf dem Weg zum Traumjob kann mir auch mal ein Nein begegnen oder eine Tür vor der Nase zugeschlagen werden. Dann bitte hartnäckig bleiben, nicht aufgeben und es an einer anderen Stelle versuchen. Wenn ich meinen Traumjob haben will, dann muss ich mich dafür einsetzen.

Der Fachkräftemangel treibt Unternehmen wie Politik. Der Ruf nach mehr Kolleginnen wird in der IT immer lauter. Auch die Bundesregierung hat am 12.Oktober ihre neue Fachkräftestrategie veröffentlicht. Ein Ziel: die Steigerung der Erwerbstätigkeit von Frauen. Was braucht es aus Ihrer Sicht an politischen Rahmenbedingungen, damit sich mehr Frauen für eine Tech-Karriere entscheiden?

Dr. Fritzsche: Wenn es um langristige Maßnahmen geht, muss vor allem im Bereich Kindergärten und Schulen mehr in Richtung digitale Bildung passieren. Dazu zählt auch die Einführung von Informatik als Pflichtfach. Da sind viele Bundelänger schon auf einem guten Weg. Hamburg führt zum Beispiel zum Schuljahr 2024/2025 Informatik als Pflichtfach ein – ein Vorgehen, das sich positiv auf den Frauenanteil im Studiengang Informatik auswirkt, wie Studien belegen. Und es muss einfach normal werden, dass Frauen Informatik studieren.

Mittelfristig ist es ganz wichtig aufzuzeigen, welche Schnittstellenberufe es in der Tech-Welt gibt. Das umfasst weitaus mehr als Programmieren. ITler und Techies sind eben nicht die Nerds im Keller mit den gestapelten Pizzakartons. Diese Klischees sind absolut von gestern. Die Fachbereiche und -disziplinen wachsen immer stärker zusammen, alles basiert auf IT und es gibt viele spannende und neue Berufsfelder an den Schnittstellen. Die vielfältigen Job- und Karriereperspektiven müssen stärker aufgezeigt werden – beispielsweise in den Berufsinformationenszentren (BIZ). Aus kurzfristiger Sicht sind vor allem die Unternehmen gefragt, Benefits, die sie Frauen bieten, stärker in den Fokus zu rücken, beispielsweise Flexibilität hinsichtlich Arbeitsmodell und -ort.

Sichtbarkeit ist einerseits ein entscheidender Karrierefaktor, andererseits inspiriert die Sichtbarkeit von weiblichen Role Models in Tech weitere Frauen dazu, eine Karriere in der Internetwirtschaft zu ergreifen. Sie sind als Tech Ambassador stark auf Social Media präsent, sind Host der #Tech-Snack-Reihe von OTTO auf YouTube, sind Speakerin auf Konferenzen. Welchen Ratschlag können Sie als Expertin Frauen in Tech geben, um sichtbarer zu werden?

Dr. Fritzsche: Erstens ist es wichtig, Erfolge zu feiern – das machen wir viel zu selten. Mich hat eine Keynote von Katharina Wohlrab (Geschäftsführerin Tech4Girls) sehr inspiriert, in der sie u. a. sagt: „Ich bin erfolgreich. Ich kann das. Ich bin ein Role Model.“ Es ist so wichtig, sich einfach mal zu trauen und nicht zu denken: Was habe ich denn vorzuweisen? Um sichtbarer zu werden, braucht es den Mut, einfach ins kalte Wasser zu springen, sich beispielsweise aktiv auf Speaker-Slots bei Konferenzen zu bewerben. Ich werde von Tech-Veranstaltern sehr häufig angesprochen: Kannst du mir noch eine weibliche Tech- Expertin empfehlen? Da ist aktuell eine riesige Chance für Frauen in Tech mit ihrer Expertise auf die Bühne zu gehen.

Um die Visibilität von Frauen in Tech zu erhöhen, sollten wir uns gegenseitig pushen und ermutigen. Wir hatten bei uns im Haus beispielsweise erst kürzlich eine Konferenz zum Thema „Künstliche Intelligenz“ mit einer Spezialistin auf Junior-Level auf der Bühne. Ihre Führungskraft hat sie ermutigt, einen Vortrag einzureichen. Trotzdem war die Kollegin zuvor etwas unsicher, weil sie die einzige juniorige Person auf der Bühne war. Wir haben ihr klar gemacht: „Dein berufliches Level spielt keine Rolle. Du bist die Expertin, dein Thema wurde angenommen, es ist wichtig und du bist genau die richtige Expertin dafür.“ Da wurde die Kollegin direkt ein ganzes Stück größer. Diesen Spirit der gegenseitigen Unterstützung empfinde ich in allen Initiativen für Frauen in Tech. Da ist null Neid oder Ellenbogen-Mentalität.

Allen, die noch nicht so viel Erfahrung auf der Bühne haben, möchte ich daher mitgeben: Fragt andere, wie sie das Thema angegangen sind. Sucht eine Mentorin, die euch Tipps gibt. Ich bin mir sicher, nahezu jede wird sagen, dass sie vor dem ersten Vortrag mega aufgeregt war, sich verplappert oder die Hälfte von dem, was sie sagen wollte, vergessen hat. Aber auch dass sie es überstanden hat. Daher bitte einfach trauen und Chancen ergreifen. Es hilft auch sich zu fragen: Was ist das Schlimmste, was passieren kann? Die Antwort lautet: Es kann eigentlich nur gut werden. Was in der Regel danach passiert, ist: Ich werde gesehen, als Expertin wahrgenommen, erhalte die nächste Einladung für ein Panel, eine Keynote oder ein tolles Jobangebot.

Wie lautet Ihr Karriere-Tipp an Frauen?

Dr. Fritzsche: Traut euch etwas zu, springt ins kalte Wasser – denn: ihr könnt schwimmen. Und das auch in den oft zitierten Haifischbecken. Ihr habt das Zeug dazu. Engagiert euch in Netzwerken und sucht Role Models, die auf dem Weg schon ein Stück weiter sind als ihr selbst. Findet euren eigenen Weg und vergesst niemals: Feiert Erfolge und euch selbst für das, was ihr erreicht habt.

Wir möchten Ihnen jetzt einen weiteren interessanten Job geben und machen Sie zum Podcast-Host. Wen laden Sie in unserem Kontext Frauen in Tech zum Gespräch ein und worüber reden Sie mit Ihren Gästen?

Dr. Fritzsche: Einladen würde ich in jedem Fall Katharina Wohlrab (Geschäftsführerin Tech4Girls), weil sie mich mit ihrer Keynote total mitgerissen hat und unglaublich viel Energie und Engagement verkörpert. Ebenso begeistert mich ihr Credo: „Ich komme aus meiner Komfortzone und probiere Neues aus.“ Sprechen möchte ich mit ihr darüber, wie wichtig es ist, dass Frauen sich darüber bewusst werden, was sie alles leisten und welche eigenen Eigenschaften und Potenziale sie mitbringen. Es ist aus meiner Sicht nicht ratsam, sich als Frau in einem partiell noch männlich geprägten Umfeld einfach anzupassen, sondern viel mehr eigene Potenziale aktiv einzubringen.

Michael Krause, Europachef bei Spotify hat uns folgende Frage für Sie mitgegeben: Meine Frage lautet: In welcher Situation hast du dich zuletzt konkret für mehr Diversity eingesetzt?

Dr. Fritzsche: Heute ist unsere Kommunikation für die nächste develop <her> live gegangen. In der Event-Reihe bieten wir verschiedene Vorträge und Coding-Sessions an. Eingeladen sind Frauen, die noch nie etwas mit Programmieren zu tun hatten, genauso wie Professionals. OTTO Mitarbeiter:innen organisieren das Event neben ihren Jobs und werden dabei von ehrenamtlichen Coaches unterstützt. Wir haben die develop <her> ins Leben gerufen, weil wir mehr Diversität in der IT brauchen. Denn heterogene Teams entwickeln nachweislich bessere Produkte und Lösungen als homogene. Im Bereich KI wollen wir ja nicht alte Verzerrungen und menschlichen Bias in die Algorithmen übertragen und diese sogar noch potenzieren. Wir alle kennen die Negativ-Beispiele,  beispielsweise die Gesichterkennungssoftware, die People of Color nicht erkannt hat. Weil eben  in ihre Entwicklung nur homogene Daten eingeflossen sind und der Fehler selbst dem Testing-Team nicht aufgefallen ist. Wir brauchen heterogene Teams, die Auseinandersetzung mit ethischen Aspekten und das klare Vorhaben Chancengleichheit zu fördern. All das muss bereits in der Design-Phase der KI-Anwendungen verankert werden. Um aber auch ein positives Beispiel zu nennen: Künstliche Intelligenz kann beispielsweise helfen, ethische Grundsätze umzusetzen. Wir wollen beispielsweise keine T-Shirts für Mädchen, auf denen steht „Mädchen können kein Mathe“. Weiter wollen wir auch keine Bilder mit Kindern in Bademoden oder spärlich-bekleidete Frauen in Duschkabinen auf unserer Online-Plattform sehen.  Künstliche Intelligenz hilft uns, derartige Bilder zu identifizieren und entsprechend auszufiltern. Auf otto.de verkaufen heute bereits  tausende Partner Waren. Was auch bedeutet, dass wir Abermillionen Bilder verwalten – und da kommen täglich hunderte dazu, die entsprechend kontrolliert werden müssen.  Ohne Unterstützung der KI wäre das gar nicht möglich.  

Wir möchten gerne auch Ihre Aspekte und Fragen in die Diversity-Debatte einbringen. Welche Frage möchten Sie uns in diesem Zusammenhang für die nächste Interview-Partner:in mitgeben?

Dr. Fritzschke: Welche Strategie hast du, um mehr Frauen und mehr Quereinsteigerinnen für die Tech-Welt zu gewinnen? Welche Strategie fährt dein Unternehmen, um das wirklich umzusetzen?

Vielen herzlichen Dank für das Interview, Frau Dr. Fritzsche!

Ich bin – wie gesagt – Tech- Quereinsteigerin und zudem noch Mutter, also  ein authentisches Role Model, um Frauen für eine IT-Karriere zu inspirieren.

Wir müssen auf Frauen im Recruiting anders eingehen, mehr Fragen antizipieren, umfassender zum Aufgabenfeld informieren.

Es geht nicht darum Männer abzulehnen, aber deutlich zu machen: Wir brauchen auch Bewerbungen von Frauen, von denen wir aber weniger erhalten. Also braucht der Besetzungsprozess unter Umständen länger.

Es hilft immer, sich Role Models zu suchen und zu fragen: Wie habt ihr das geschafft? Wie seid ihr vorgegangen?

ITler und Techies sind eben nicht die Nerds im Keller mit den gestapelten Pizzakartons. Diese Klischees sind absolut von gestern.

Wir haben die develop <her> ins Leben gerufen, weil wir mehr Diversität in der IT brauchen. Denn heterogene Teams entwickeln nachweislich bessere Produkte und Lösungen als homogene.