INTERVIEW

Im Gespräch mit Dr. Frederike Fritzsche, Tech Ambassador, OTTO

Dr. Frederike Fritzsche ist Tech Ambassador bei dem Tech-Unternehmen OTTO und vertritt als Corporate-Influencerin das Unternehmen auf Konferenzen und Social Media. In unserem Interview geht es um ihr Engagement in der OTTO Initiative PLAN F, ihre Tipps für einen Quereinstieg in Tech und wie man seine Sichtbarkeit steigert.


Sie sind Tech Ambassador bei OTTO. Wie kam es dazu und was ist Ihre Aufgabe?

Dr. Frederike Fritzsche: Ich bin selbst Quereinsteigerin in der IT. Meine Learnings und mein Wissen über Tech-Themen habe ich schon immer mit viel Freude und Engagement mit anderen geteilt. Vor zwei Jahren haben wir  uns intern forciert die Frage gestellt: Wie können wir unsere Tech-Themen noch stärker in den Vordergrund stellen und in welchen Formaten können wir darüber berichten? So sind das Konzept und die Rolle des Tech Ambassador entstanden. Unser CIO Dr. Michael Müller-Wünsch ist dann auf mich zugekommen – und das war mein Weg zum Tech Ambassador bei OTTO.

In meiner Rolle als Tech Ambassador trage ich unsere Tech-Themen in die Öffentlichkeit und schaue, welche Innovationsbereiche, -diskussionen und Events für uns als Unternehmen spannend sein könnten. Das Ziel ist  es, die Themen von OTTO öffentlich zu machen und Menschen für Tech, IT und BI sowie unser Unternehmen zu begeistern. So trage ich meinen Teil dazu bei, unsere Positionierung zu schärfen und klar zu machen: Wir sind ein modernes Tech-Unternehmen und eben schon lange kein Versandhändler aus der Katalog-Ära mehr. Ich bin – wie gesagt – Tech- Quereinsteigerin und zudem noch Mutter, also  ein authentisches Role Model, um Frauen für eine IT-Karriere zu inspirieren. Mehr Frauen für technikgeprägte Berufsbilder zu begeistern ist erstens ein klares Herzensthema von mir und zweitens ein Thema, das wir stärker betonen möchten.  

Sie engagieren sich in der OTTO internen Initiative PLAN F, die sich für mehr Frauen in der IT stark macht. Wie gehen Sie das Thema bei OTTO konkret an?

Dr. Fritzsche: Unser CIO Dr. Michael Müller-Wünsch hat das Ziel vorgegeben, zukünftig 50 Prozent der offenen Tech-Stellen bei OTTO mit Frauen zu besetzen. Das ist sicherlich ein ehrgeiziges Ziel. Andererseits sind es häufig ja eben große Ziele und Ambitionen, die ein Umdenken bewirken.

Wir haben also zunächst analysiert, was wir bereits tun, um den Frauenanteil in Tech-Bereichen zu erhöhen und welche Instrumente wir dazu verstärkend noch einsetzen können? Beispielsweise Veränderungen im Recruiting: Klar, wir gendern in unseren Stellenanzeigen, aber worauf achten Frauen wirklich? Welche Formulierungen wirken auf die Zielgruppe eher abschreckend? Welche Begriffe in Stellenanzeigen sind eher männlich-konnotiert? Analysen zeigen, dass Frauen 90 Prozent der Stellenanzeigen lesen, Männer hingegen nur 30 Prozent. Ergo: Wir müssen auf Frauen im Recruiting anders eingehen, mehr Fragen antizipieren, umfassender zum Aufgabenfeld informieren.

Fest steht auch: Frauen ziehen Frauen an. Daher beschreiben wir in unseren Stellenanzeigen die Teambesetzung, die z. B. aus einer Analystin, einem Backend-Developer, einem Frontend-Developer und einer Projektmanagerin besteht. So wird klar, dass es bereits Frauen im Team gibt und eine Unternehmenskultur existiert, die Diversität im Aspekt Gender fördert.

Mehr Frauen für Tech bei OTTO zu begeistern impliziert auch, dass wir uns manchmal bewusst mehr Zeit nehmen, um vakante Stellen zu besetzen. Darin  besteht aus meiner Sicht die größte Herausforderung. Es geht nicht darum Männer abzulehnen, aber deutlich zu machen: Wir brauchen auch Bewerbungen von Frauen, von denen wir aber weniger erhalten. Also braucht der Besetzungsprozess unter Umständen länger. In der Hinsicht haben wir auch den uneingeschränkten Support unseres CIO. An erster Stelle steht für ihn, dass wir ein ausgewogenes, diverses Team werden. Zudem geht es nicht nur um Frauen, die schon als Professional in der IT unterwegs sind, sondern auch um Quer- und Neueinsteigerinnen. Da müssen sich Unternehmen auch positionieren und überlegen, wie viel sie investieren wollen: 2021 belief sich die Anzahl offener Stellen für IT-Experten auf 96.000. Wenn wir diese Stellen besetzen wollen, müssen wir uns auch Quereinsteigern öffnen und das Potenzial von mehr Frauen in der IT im Allgemeinen erkennen.  

Sie sind selbst Quereinsteigerin in Tech. Was raten Sie Menschen, die über einen Quereinstieg in Tech nachdenken?

Dr. Fritzsche: Ich glaube, das Wichtigste ist ein Netzwerk zu haben oder sich ein Netzwerk aufzubauen, um sich mit Menschen aus der Tech-Welt auszutauschen. Es hilft immer, sich Role Models zu suchen und zu fragen: Wie habt ihr das geschafft? Wie seid ihr vorgegangen? Erste Kontakte lassen sich leicht über entsprechende Initiativen knüpfen, die den Austausch von Frauen in Tech fördern und Best Practices für den Einstieg oder Quereinstieg in die Branche aufzeigen. Neben Netzwerktreffen empfiehlt es sich auch, an Bootcamps oder Sessions teilzunehmen. Wir haben eine ganze Reihe von Quereinsteigerinnen bei OTTO. Eine Kollegin von mir kommt bespielsweise ursprünglich aus dem Marketing und ist jetzt Entwicklern. Sie hat verschiedene Bootcamps absolviert und sich stets Ansprechpartner:innen gesucht, um zu erfahren: Was brauche ich, damit ich diesen Job machen kann? Wie soll ich mich weiterbilden, damit ich zukünftig als Entwicklerin gesehen werde? Eine andere Kollegin war im Gesundheitsmanagement tätig und ist jetzt Junior-Entwicklerin. Viele finden auch über unser Event-Format develop <HER> den Weg in die Entwicklung.

Es ist wichtig zu wissen, auf dem Weg zum Traumjob kann mir auch mal ein Nein begegnen oder eine Tür vor der Nase zugeschlagen werden. Dann bitte hartnäckig bleiben, nicht aufgeben und es an einer anderen Stelle versuchen. Wenn ich meinen Traumjob haben will, dann muss ich mich dafür einsetzen.

Der Fachkräftemangel treibt Unternehmen wie Politik. Der Ruf nach mehr Kolleginnen wird in der IT immer lauter. Auch die Bundesregierung hat am 12.Oktober ihre neue Fachkräftestrategie veröffentlicht. Ein Ziel: die Steigerung der Erwerbstätigkeit von Frauen. Was braucht es aus Ihrer Sicht an politischen Rahmenbedingungen, damit sich mehr Frauen für eine Tech-Karriere entscheiden?

Dr. Fritzsche: Wenn es um langristige Maßnahmen geht, muss vor allem im Bereich Kindergärten und Schulen mehr in Richtung digitale Bildung passieren. Dazu zählt auch die Einführung von Informatik als Pflichtfach. Da sind viele Bundelänger schon auf einem guten Weg. Hamburg führt zum Beispiel zum Schuljahr 2024/2025 Informatik als Pflichtfach ein – ein Vorgehen, das sich positiv auf den Frauenanteil im Studiengang Informatik auswirkt, wie Studien belegen. Und es muss einfach normal werden, dass Frauen Informatik studieren.

Mittelfristig ist es ganz wichtig aufzuzeigen, welche Schnittstellenberufe es in der Tech-Welt gibt. Das umfasst weitaus mehr als Programmieren. ITler und Techies sind eben nicht die Nerds im Keller mit den gestapelten Pizzakartons. Diese Klischees sind absolut von gestern. Die Fachbereiche und -disziplinen wachsen immer stärker zusammen, alles basiert auf IT und es gibt viele spannende und neue Berufsfelder an den Schnittstellen. Die vielfältigen Job- und Karriereperspektiven müssen stärker aufgezeigt werden – beispielsweise in den Berufsinformationenszentren (BIZ). Aus kurzfristiger Sicht sind vor allem die Unternehmen gefragt, Benefits, die sie Frauen bieten, stärker in den Fokus zu rücken, beispielsweise Flexibilität hinsichtlich Arbeitsmodell und -ort.

Sichtbarkeit ist einerseits ein entscheidender Karrierefaktor, andererseits inspiriert die Sichtbarkeit von weiblichen Role Models in Tech weitere Frauen dazu, eine Karriere in der Internetwirtschaft zu ergreifen. Sie sind als Tech Ambassador stark auf Social Media präsent, sind Host der #Tech-Snack-Reihe von OTTO auf YouTube, sind Speakerin auf Konferenzen. Welchen Ratschlag können Sie als Expertin Frauen in Tech geben, um sichtbarer zu werden?

Dr. Fritzsche: Erstens ist es wichtig, Erfolge zu feiern – das machen wir viel zu selten. Mich hat eine Keynote von Katharina Wohlrab (Geschäftsführerin Tech4Girls) sehr inspiriert, in der sie u. a. sagt: „Ich bin erfolgreich. Ich kann das. Ich bin ein Role Model.“ Es ist so wichtig, sich einfach mal zu trauen und nicht zu denken: Was habe ich denn vorzuweisen? Um sichtbarer zu werden, braucht es den Mut, einfach ins kalte Wasser zu springen, sich beispielsweise aktiv auf Speaker-Slots bei Konferenzen zu bewerben. Ich werde von Tech-Veranstaltern sehr häufig angesprochen: Kannst du mir noch eine weibliche Tech- Expertin empfehlen? Da ist aktuell eine riesige Chance für Frauen in Tech mit ihrer Expertise auf die Bühne zu gehen.

Um die Visibilität von Frauen in Tech zu erhöhen, sollten wir uns gegenseitig pushen und ermutigen. Wir hatten bei uns im Haus beispielsweise erst kürzlich eine Konferenz zum Thema „Künstliche Intelligenz“ mit einer Spezialistin auf Junior-Level auf der Bühne. Ihre Führungskraft hat sie ermutigt, einen Vortrag einzureichen. Trotzdem war die Kollegin zuvor etwas unsicher, weil sie die einzige juniorige Person auf der Bühne war. Wir haben ihr klar gemacht: „Dein berufliches Level spielt keine Rolle. Du bist die Expertin, dein Thema wurde angenommen, es ist wichtig und du bist genau die richtige Expertin dafür.“ Da wurde die Kollegin direkt ein ganzes Stück größer. Diesen Spirit der gegenseitigen Unterstützung empfinde ich in allen Initiativen für Frauen in Tech. Da ist null Neid oder Ellenbogen-Mentalität.

Allen, die noch nicht so viel Erfahrung auf der Bühne haben, möchte ich daher mitgeben: Fragt andere, wie sie das Thema angegangen sind. Sucht eine Mentorin, die euch Tipps gibt. Ich bin mir sicher, nahezu jede wird sagen, dass sie vor dem ersten Vortrag mega aufgeregt war, sich verplappert oder die Hälfte von dem, was sie sagen wollte, vergessen hat. Aber auch dass sie es überstanden hat. Daher bitte einfach trauen und Chancen ergreifen. Es hilft auch sich zu fragen: Was ist das Schlimmste, was passieren kann? Die Antwort lautet: Es kann eigentlich nur gut werden. Was in der Regel danach passiert, ist: Ich werde gesehen, als Expertin wahrgenommen, erhalte die nächste Einladung für ein Panel, eine Keynote oder ein tolles Jobangebot.

Wie lautet Ihr Karriere-Tipp an Frauen?

Dr. Fritzsche: Traut euch etwas zu, springt ins kalte Wasser – denn: ihr könnt schwimmen. Und das auch in den oft zitierten Haifischbecken. Ihr habt das Zeug dazu. Engagiert euch in Netzwerken und sucht Role Models, die auf dem Weg schon ein Stück weiter sind als ihr selbst. Findet euren eigenen Weg und vergesst niemals: Feiert Erfolge und euch selbst für das, was ihr erreicht habt.

Wir möchten Ihnen jetzt einen weiteren interessanten Job geben und machen Sie zum Podcast-Host. Wen laden Sie in unserem Kontext Frauen in Tech zum Gespräch ein und worüber reden Sie mit Ihren Gästen?

Dr. Fritzsche: Einladen würde ich in jedem Fall Katharina Wohlrab (Geschäftsführerin Tech4Girls), weil sie mich mit ihrer Keynote total mitgerissen hat und unglaublich viel Energie und Engagement verkörpert. Ebenso begeistert mich ihr Credo: „Ich komme aus meiner Komfortzone und probiere Neues aus.“ Sprechen möchte ich mit ihr darüber, wie wichtig es ist, dass Frauen sich darüber bewusst werden, was sie alles leisten und welche eigenen Eigenschaften und Potenziale sie mitbringen. Es ist aus meiner Sicht nicht ratsam, sich als Frau in einem partiell noch männlich geprägten Umfeld einfach anzupassen, sondern viel mehr eigene Potenziale aktiv einzubringen.

Michael Krause, Europachef bei Spotify hat uns folgende Frage für Sie mitgegeben: Meine Frage lautet: In welcher Situation hast du dich zuletzt konkret für mehr Diversity eingesetzt?

Dr. Fritzsche: Heute ist unsere Kommunikation für die nächste develop <her> live gegangen. In der Event-Reihe bieten wir verschiedene Vorträge und Coding-Sessions an. Eingeladen sind Frauen, die noch nie etwas mit Programmieren zu tun hatten, genauso wie Professionals. OTTO Mitarbeiter:innen organisieren das Event neben ihren Jobs und werden dabei von ehrenamtlichen Coaches unterstützt. Wir haben die develop <her> ins Leben gerufen, weil wir mehr Diversität in der IT brauchen. Denn heterogene Teams entwickeln nachweislich bessere Produkte und Lösungen als homogene. Im Bereich KI wollen wir ja nicht alte Verzerrungen und menschlichen Bias in die Algorithmen übertragen und diese sogar noch potenzieren. Wir alle kennen die Negativ-Beispiele,  beispielsweise die Gesichterkennungssoftware, die People of Color nicht erkannt hat. Weil eben  in ihre Entwicklung nur homogene Daten eingeflossen sind und der Fehler selbst dem Testing-Team nicht aufgefallen ist. Wir brauchen heterogene Teams, die Auseinandersetzung mit ethischen Aspekten und das klare Vorhaben Chancengleichheit zu fördern. All das muss bereits in der Design-Phase der KI-Anwendungen verankert werden. Um aber auch ein positives Beispiel zu nennen: Künstliche Intelligenz kann beispielsweise helfen, ethische Grundsätze umzusetzen. Wir wollen beispielsweise keine T-Shirts für Mädchen, auf denen steht „Mädchen können kein Mathe“. Weiter wollen wir auch keine Bilder mit Kindern in Bademoden oder spärlich-bekleidete Frauen in Duschkabinen auf unserer Online-Plattform sehen.  Künstliche Intelligenz hilft uns, derartige Bilder zu identifizieren und entsprechend auszufiltern. Auf otto.de verkaufen heute bereits  tausende Partner Waren. Was auch bedeutet, dass wir Abermillionen Bilder verwalten – und da kommen täglich hunderte dazu, die entsprechend kontrolliert werden müssen.  Ohne Unterstützung der KI wäre das gar nicht möglich.  

Wir möchten gerne auch Ihre Aspekte und Fragen in die Diversity-Debatte einbringen. Welche Frage möchten Sie uns in diesem Zusammenhang für die nächste Interview-Partner:in mitgeben?

Dr. Fritzschke: Welche Strategie hast du, um mehr Frauen und mehr Quereinsteigerinnen für die Tech-Welt zu gewinnen? Welche Strategie fährt dein Unternehmen, um das wirklich umzusetzen?

Vielen herzlichen Dank für das Interview, Frau Dr. Fritzsche!

Ich bin – wie gesagt – Tech- Quereinsteigerin und zudem noch Mutter, also  ein authentisches Role Model, um Frauen für eine IT-Karriere zu inspirieren.

Wir müssen auf Frauen im Recruiting anders eingehen, mehr Fragen antizipieren, umfassender zum Aufgabenfeld informieren.

Es geht nicht darum Männer abzulehnen, aber deutlich zu machen: Wir brauchen auch Bewerbungen von Frauen, von denen wir aber weniger erhalten. Also braucht der Besetzungsprozess unter Umständen länger.

Es hilft immer, sich Role Models zu suchen und zu fragen: Wie habt ihr das geschafft? Wie seid ihr vorgegangen?

ITler und Techies sind eben nicht die Nerds im Keller mit den gestapelten Pizzakartons. Diese Klischees sind absolut von gestern.

Wir haben die develop <her> ins Leben gerufen, weil wir mehr Diversität in der IT brauchen. Denn heterogene Teams entwickeln nachweislich bessere Produkte und Lösungen als homogene.