Du hast an LMU Jura studiert, in verschiedenen Großkanzleien in Deutschland, Russland und Italien gearbeitet sowie für einen Elektronik-Retailer die Transformation vom stationären Handel zum Multi-Channel-Anbieter begleitet. 2016 bist Du in die IT-Branche eingestiegen und hast Deine Karriere aktiv von der Rechtsabteilung über das strategisches Partnermanagement bis hin zum Vertrieb vorangetrieben. Außerdem bis Du Mitbegründerin eines kleinen Restaurants in München, das sogar mit dem Michelin-Stern ausgezeichnet wurde. Als Sales Managerin Public Sector bei Oracle bist Du mit deinem Team für den strategischen Vertrieb an den öffentlichen Sektor in Deutschland verantwortlich. Wie sieht Dein typischer Arbeitsalltag aus? Was gefällt Dir persönlich besonders an Deinem Job?
Evgeniya Ettinger: Das Schöne an meinem Job ist: Kein Tag ist wie der andere. Mein Fokus liegt einerseits natürlich auf der Weiterentwicklung meines Teams und der Teamdynamik, was für mich eine der spannendsten Aufgaben darstellt, anderseits ist es die Entwicklung des Geschäfts und die Erreichung der Umsatzziele. Dabei arbeiten wir eng mit unseren Kunden und Partnern zusammen, um Lösungen für ihre Herausforderungen zu entwickeln. Wir stimmen uns dafür eng mit diversen internen Abteilungen wie Business Development, Marketing und Produkt-Development ab. In kreativen Sessions entwickeln wir gemeinsam Ideen, übersetzen diese in technische Lösungen und pitchen sie entsprechend beim Kunden. Wir agieren in einem sehr dynamischen Umfeld, sind sehr international unterwegs und gestalten Zukunftsthemen wie Open Government oder Smart Cities aktiv mit. Das Schöne an der Gestaltung von Lösungen für den Public Sector ist zudem, dass man im Endeffekt auch selbst als Nutzer von diesen Lösungen profitiert. Die Vielfältigkeit von meinen Aufgaben und Möglichkeit, mein Team bei der Karriereentwicklung zu unterstützen, machen meine aktuelle Position für mich besonders spannend.
Welche Karriere-Tipp möchtest Du anderen Frauen mit auf den Weg geben?
Ettinger: Mein Tipp lautet: Denkt größer. Traut euch mehr zu und nehmt euch bewusst die Zeit, neue Themen und Aufgaben auszuprobieren. Zudem möchte ich einen Tipp weitergeben, den ich von einer meiner Mentorinnen erhalten habe: Schreibe sechs Wochen lang jeden Tag auf, was dir an deiner Tätigkeit besonders gefallen hat. In der Regel fallen einem doch eher tausend Dinge ein, die einem nicht gefallen. Ich glaube, dass diese Selbstreflektion hilft, sich nicht in einen Job rein zu zwingen, wo man vielleicht nicht richtig ist. Wer hingegen rausfindet, was er mag, wird automatisch gut, weil der Job dann einfach Spaß macht. Zudem sollte man das große Ziel immer vor Augen haben und sich sowohl Menschen suchen, die an einen glauben und die einen auf dem Weg ans Ziel unterstützen, als auch die von denen man viel lernen kann.
Mein Tipp lautet: Denkt größer. Traut euch mehr zu und nehmt euch bewusst die Zeit, neue Themen und Aufgaben auszuprobieren.
Du bist Teamlead des Oracle Women´s Leadership Deutschland und übst die Funktion ehrenamtlich aus. Warum ist dir Diversity persönlich wichtig?
Ettinger: Ich kenne sehr viele talentierte Frauen. Meine Motivation ist es, diesen Frauen Türen zu öffnen. Ich sehe sehr oft, dass vielen Frauen jemand fehlt, der an sie glaubt und ihnen das entsprechend spiegelt und Hilfestellungen anbietet. Zudem ist es für mich auch ein kulturelles Thema. Als Russin war es für mich schockierend, dass Frauenkarrieren in Deutschland tatsächlich ein Diskussionspunkt sind und dass Angebote fehlen, die Frauen ermöglichen, sowohl Karriere zu machen als auch ihr Familienleben zu gestalten. In meinem Kulturkreis war es eine wirtschaftliche Notwendigkeit, dass Männer und Frauen arbeiten und dass entsprechende Rahmenbedingungen wie kostenlose Schulen und Kindergärten – alles ganztags – existieren. Dies war die Normalität.
Ich wünsche mir, dass die Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Deutschland geschaffen und ausgebaut werden, dass die Anzahl der Vorständinnen und Professorinnen steigt und dass Frauen in allen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Bereichen in Entscheidungspositionen präsent und stärker vertreten sind. Dazu möchte ich durch mein Engagement meinen Teil beitragen.
Ein Instrument für mehr Frauen in Entscheidungspositionen ist die Frauenquote. Wie stehst du persönlich dazu und wo stehen wir aus deiner Sicht im Bereich Frauen in Leadership?
Ettinger: Nach meinem Empfinden stehen wir noch sehr weit am Anfang. Ich bin ich sehr froh, dass die Quote beschlossen wurde und dass die Diskussion da ist. Sie ist jedoch nicht neu, im Gegenteil sie wird schon sehr lange geführt. Einen wirklichen Fortschritt sehe ich jedoch erst, wenn es tatsächlich umgesetzt wird und Frauen wirklich überall sichtbar vertreten sind. Die Realität sieht aktuell anders aus, es ist immer noch „Wunschdenken“, dass wir irgendwann dahin kommen. Wenn wir uns anschauen, welche Unternehmen tatsächlich von der Einführung der Frauenquote betroffen sind, dann sind das dreißig Unternehmen – also eine sehr überschaubare Zahl. Dass dies sich ohne Quote nicht verändern wird, zeigen auch zahlreiche Statistiken der letzten Jahre.
Wenn wir uns anschauen, welche Unternehmen tatsächlich von der Einführung der Frauenquote betroffen sind, dann sind das dreißig Unternehmen – also eine sehr überschaubare Zahl
Welche Instrumente sind aus deiner Sicht denn noch geeignet, um mehr Vielfalt in Führungsetagen zu bekommen?
Ettinger: Zum einem ist die Quote ein guter Anfang, zum anderen sollten sich die Stakeholder sehr gut überlegen, welche Leadership-Kultur vorgelebt wird. Es ist essentiell Menschen in Führungspositionen zu bringen, die auch wirklich für das Thema Diversity stehen. Andernfalls wird es schwierig, die gläserne Decke zu durchbrechen. Bei Oracle haben wir seit Jahren eine weibliche CEO, die auch unsere Initiative Oracle Women´s Leadership (OWL) ins Leben gerufen hat. In Deutschland haben wir mit Stefanie Kemp seit Juni ebenfalls eine Frau als CEO. Der Country Lead bei Oracle Frankreich liegt ebenfalls in den Händen einer Frau. Mitunter ist man auch bei Oracle die einzige Frau im Meeting, hat jedoch nie das Gefühl, dass man jetzt deshalb irgendwelche Nachteile hätte. Diese Kultur wird stets von oben vorgelebt, sodass die Leute sich alle ausnahmslos mitgenommen fühlen und Diversität fest verankert und aktiv gelebt wird.
Wir geben dir jetzt mal einen weiteren interessanten Job und machen dich zur Chefredakteurin eines Leitmediums – egal ob Handelsblatt, Die Zeit oder FAZ: Welche Schlagzeile würdest du zum Thema „Diversity/Frauen in der Tech-Branche“ im Aufmacher-Artikel gerne lesen? Und was soll in dem Artikel stehen?
Ettinger: Ich wünsche mir, dass wir uns beim Thema Diversity breiter aufstellen und nicht nur auf den Gender-Aspekt fokussieren. Daher widme ich den Artikel Role Models und Menschen, die aus anderen Herkunftsländen kommen oder die einen Quereinstieg geschafft haben und in Deutschland Karriere gemacht haben. Diese Menschen und ihre Erfolgsgeschichten müssen wir unbedingt sichtbarer machen. Denn wenn andere von diesen positiven Beispielen erfahren, werden sie zur Nachahmung animiert und sie trauen sich zu, einen ähnlichen Weg einzuschlagen, weil sie spüren, dass die Kultur in Deutschland dafür sehr offen ist.
Hattest Du selbst Vorbilder, die Dich inspiriert und/oder gefördert haben?
Ettinger: In der Tat gibt es sehr viele Frauen, die ich als Leader, als Mentor und als Mensch einfach unglaublich beeindruckend finde. Meine Oma war die erste Frau, die ich bewundert habe. Sie hat in der Sowjetunion als Mathematikerin an der Hochschule für Militär Karriere gemacht – ohne Parteizugehörigkeit. Das war eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Meine Oma hat mir beigebracht hat, dass man wissbegierig sein muss und in der Welt etwas Positives bewegen kann, dass es wichtig ist, Dinge einfach auszuprobieren und sich alles zuzutrauen sowie sich mit Leuten zu umgeben, die an einen glauben und nicht die Zweifel in einem spüren, sondern die das Gute sehen und andere motivieren. Im besten Falle hat jeder in seinem Umfeld so eine Person oder sogar mehrere davon.
In der Tat gibt es sehr viele Frauen, die ich als Leader, als Mentor und als Mensch einfach unglaublich beeindruckend finde.
Wenn ich diese Person noch nicht in meinem Umfeld habe, wie suche ich mir einen Mentor oder Mentorin?
Ettinger: Die meisten Menschen sind immer bereit und gewillt zu helfen. Man muss sich natürlich trauen einfach zu fragen. Mitunter mache ich das auch für mein Team. Ich spreche oft andere Manager an: „Ich habe jemand sehr Talentierten in meinem Team und ich glaube, Du wärst der richtige Mentor für diese Person, würdest du die Aufgabe übernehmen?“. Selten bekomme ich ein „Nein“ und sage selbst bei solchen Anfragen zu. Gerade wenn Mitarbeiter vielleicht schüchtern oder sich nicht sicher sind, wie und wen sie fragen können. In erster Linie ist es doch ein Lob an die potentiellen Mentoren, wenn ich sie um Tipps bitte. Das Größte ist für mich persönlich, wenn meine Mentees besser werden als ich und wenn ich sehe, wie sie sich entwickeln und Karriere machen.
Unsere Interview-Partnerin Agnes Heftberger, VP Sales IBM DACH, hat uns folgende Frage für Sie mitgegeben: Was können wir als Unternehmen der deutschen Wirtschaft tun, um dort wo die Challenge startet – nämlich in der Bildung – schon früh gleichberechtigte Rahmenbedingungen zu schaffen? Es wird ja stets an Politik und Strukturen verwiesen, aber was ist unser Beitrag als Wirtschaft dazu?
Ettinger: Sehr richtig, es ist nicht nur Aufgabe von Politik und Gesellschaft, sondern es sind auch wir als Wirtschaftsunternehmen dafür verantwortlich und müssen Unterstützung bieten, beispielsweise in Form kostenloser Bildungsangebote. Bei Oracle unterstützen wir Universitäten mit entsprechenden Programmen, in vielen Ländern sind wir auch im schulischen Bereich aktiv. Gerade in der IT-Branche müssen wir unser Wissen teilen und transparent machen, damit das Thema Digitalisierung von allen akzeptiert wird, damit wir Nachwuchskräfte finden und Mädchen ermutigen, zu uns zu kommen, um diverser zu werden. Dazu braucht es Kooperationen mit Bildungsträgern, Schulen und Universitäten sowie spezielle Angebote, die sich explizit an Mädchen richten wie beispielsweise Programmierkurse. Ich bin selbst kein Tekkie, sondern Juristin. Ich persönlich würde jedoch eher in eine Programmierklasse gehen, an der auch andere Frauen teilnehmen, weil die Hürde dann geringer ist. Daher ist das aus meiner Sicht ein guter Ansatz zu fragen: Was würde mich als Frau motivieren an derartigen Angeboten teilzunehmen und diese Gedanken in die Konzeption der Angebote einfließen zu lassen.
Wir möchten gerne auch Deine Aspekte und Fragen in die Diversity-Debatte einbringen. Gibt es eine Frage, die aus Deiner Sicht zu wenig Beachtung findet oder ein Herzensthema, das Dich umtreibt?
Ettinger: Diversity wird mir persönlich in Deutschland zu stark auf den Gender-Aspekt fokussiert und reduziert. Diversity umfasst ja viel mehr Dimensionen wie Herkunft, Alter, Skill-Set, Erfahrungen und Background. Karriere an sich wird in Deutschland aus meiner Sicht auch eher linear angedacht. Dabei muss die Karriereentwicklung nicht zwingend linear sein. Für einen bestimmten Zeitpunkt kann es okay und legitim sein zu sagen: Ich mache Aufgabe X, aber aufgrund unterschiedlicher Einflüsse, dem Ausprobieren von Neuem, dem Austausch mit anderen, wachse ich entsprechend weiter und damit aus meiner beruflichen Rolle heraus. Das heißt eben, dass ich jetzt nicht für immer und ewig verhaftet bin im meinem einmal eingeschlagenen Karriereweg und da womöglich mein Potenzial nicht umfassend ausschöpfen kann. Ich glaube, dass es für die Führungskräfte der Zukunft immer mehr an Bedeutung gewinnen wird, unterschiedliche Bereiche gesehen und dort Erfahrungen gemacht zu haben. Dass es für Führungskräfte in unserer komplexen Welt vorteilhaft ist, so viele Bereiche wie möglich für sich abgedeckt zu haben und in unterschiedlichsten Teams und Konstellationen zusammen gearbeitet zu haben. Für diesen Aspekt wünsche ich mir ebenfalls mehr Aufmerksamkeit.
Welche Frage möchtest Du uns für unsere nächste Interview-Partnerin mitgeben?
Ettinger: Meine Frage lautet: Wie können wir den deutschen Arbeitsmarkt und auch die deutsche Kultur für Arbeitskräfte aus dem Ausland attraktiver gestalten, um eben mehr Vielfalt und Innovationskraft zu gewinnen? Was kann jeder dazu konkret beitragen?
Herzlichen Dank für deine Zeit und das Interview!
Für unsere Serie #LIT Ladies in Tech suchen wir weitere spannende Interview-Partnerinnen und -Partner. Schreiben Sie bei Interesse gerne eine E-Mail an: hanna.vonderau(at)eco.de