Sie sind IT-Spezialistin, Softwareentwicklerin, Aufsichträtin bei SAP und ehemalige Vizepräsidentin der Gesellschaft für Informatik, zertifizierter Business Coach und Mediatorin, Mitglied des Präsidiums der Gesellschaft für Informatik, Mitglied des High-Level Advisory Comitee des European Centre for Women and Technology, Mitglied des Beirats von CyberMentor und Head of Women in Tech@SAP. Da möchte ich erst einmal fragen: Wow – wie schaffen Sie das?
Christine Regitz: Zum einen habe ich ein paar Jahre Zeit gehabt, um das alles aufzubauen. Zum anderen habe ich keine Kinder und damit natürlich auch entsprechend mehr Zeit. Ich habe einen Mann, der mich sehr unterstützt und es macht mir einfach Spaß. Ich glaube, das ist wie mit allen Dingen, die einfach Spaß machen, dafür hat man dann auch Zeit. Manche gehen gerne Tennisspielen, andere gehen gerne angeln und ich möchte gerne Frauen fördern und die Informatik und MINT-Berufe in Deutschland voranbringen.
Sie haben eine sehr beeindruckende Karriere in der Tech-Branche gemacht. Welchen Tipp haben Sie für Frauen, die in der Tech-Branche durchstarten wollen?
Regitz: Zum einen ist es ganz wichtig, eine Affinität zu Tech-Themen mitzubringen. Sie müssen jedoch nicht Informatik oder Mathematik studieren, um in der Tech-Branche zu arbeiten. Die Tech-Branche braucht ganz viele unterschiedliche Talente und Menschen. Ich habe beispielsweise eine Kollegin, die hat Anthropologie studiert. Das ist jetzt nicht unbedingt der klassische Weg, um bei der SAP zu arbeiten. Für mich ist es wichtig klarzumachen, dass die Tech-Branche eine moderne, junge und zukunftsfähige Branche ist, die unglaublich spannende Themen bietet und auch ganz viele verschiedene Berufsbilder und Berufsfelder. Wir brauchen Juristinnen für Vertragsgestaltung oder für Fragen zum Patentschutz, genauso wie klassische BWLerinnen im Controlling oder Menschen mit psychologischem oder soziologischem Hintergrund beispielsweise im Bereich HR.
Sie sind Aufsichtsrätin und Head of Women in Tech@SAP. Bereits 2007 haben Sie bei SAP das Business Women´s Network mit gegründet. Warum ist Ihnen Engagement im Bereich Diversity und insbesondere Gender persönlich wichtig?
Regitz: Zum einen bin ich ganz klar für Gleichberechtigung. Es ist mir eine Herzensangelegenheit und das möchte ich weitertragen. Darüber hinaus glaube ich an den Pluralismus. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, gemischte Teams zu haben, um einen konstruktiven Meinungsaustausch zu haben. Es geht darum, verschiedene Menschen mit verschiedenen Fähigkeiten zusammenzubringen. Das ist für mich der wichtigste Punkt im Bereich Diversity. Mitunter hat man selber eine eingeschränkte Sichtweise auf Dinge, die man schon immer auf eine bestimmte Art und Weise gemacht hat. Plötzlich sagt jemand: Warum machst du das eigentlich so? Das wäre doch anders viel geschickter.
Darüber hinaus glaube ich an den Pluralismus. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, gemischte Teams zu haben, um einen konstruktiven Meinungsaustausch zu haben.
Im Bereich Women in Leadership gibt es einerseits einige positive Entwicklungen: beispielsweise in der Politik mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen, anderseits gibt es Konzerne, die sich eine Frauenquote von 0 Prozent im Vorstand setzen. Wie weit sind wir aus Ihrer Sicht im Bereich Women in Leadership?
Regitz: Da ist natürlich noch jede Menge Luft nach oben. Eins ist völlig klar, mit den aktuellen Zahlen können wir nicht zufrieden sein. Wir müssen an unterschiedlichen Stellschrauben drehen. Erstens müssen wir sicher stellen, dass genug Frauen entsprechend ausgebildet sind und in den Unternehmen arbeiten. Das sorgt dafür, dass eine Grundgesamtheit da ist, die überhaupt die Fähigkeit und den Willen dazu hat, Vorständin zu werden. Andererseits müssen wir sicherstellen, dass Frauen die Möglichkeit haben, ihren Wunsch-Beruf auszuüben. Dazu müssen wir an strukturellen Stellschrauben drehen. Die primäre Aufgabe liegt jedoch darin, erst einmal ausreichend Frauen in die Unternehmen reinzubringen, die dann auch entsprechend befördert werden und Führungspositionen im Topmanagement besetzen.
Als Instrument zur Förderung von Vielfalt in Chefetagen ist die Forderung nach Frauenquoten gerade sehr akut. Familienministerin Franziska Giffey (SPD) hatte zuletzt einen Gesetzentwurf für eine vorgelegt. Auch ein Netzwerk von prominenten Frauen wie Janina Kugel fordert eine Frauenquote von 30 Prozent in den Vorständen großer deutscher Unternehmen. Wie stehen Sie persönlich zum Thema Frauenquote?
Regitz: Ich glaube nicht, dass es uns hilft, nur auf Vorstandsebene eine Quote zu setzen. Wenn nicht ausreichend Frauen da sind, nutzt das nicht viel. Nehmen Sie als Beispiel ein Maschinenbau- oder Tiefbau-Unternehmen, da gibt es viel zu wenig Frauen insgesamt. Wir können nicht einfach oben anfangen. Wir müssen unten anfangen und dafür sorgen, dass die Frauen von unten nachkommen. An dieser Stelle müssen wir Frauen entsprechend fördern, um dann in Zukunft eine Masse zu haben, die kann nicht nur die notwendigen Fähigkeiten hat sondern auch Vorständin werden will.
Ich glaube nicht, dass es uns hilft, nur auf Vorstandsebene eine Quote zu setzen. Wenn nicht ausreichend Frauen da sind, nutzt das nicht viel.
In einem Interview haben Sie von einer Situation in der Studienberatung erzählt. Sie waren eigentlich sehr begeistert und wollten Mathematik studieren. Der Studienberater hat zu Ihnen gesagt, Sie könnten damit eine akademische Laufbahn einschlagen oder Sterbetafeln für Versicherungen berechnen. Wenn Sie jetzt ein bisschen auf den Faktor Bildung schauen, was würden Sie sagen? Was läuft vielleicht falsch? Und was sind auch Punkte, wo wir als Gesamtgesellschaft ansetzen können?
Regitz: Was wir als Gesellschaft nach wie vor nicht gut schaffen, ist Berufsbilder richtig rüberzubringen. Wenn Sie Medizin studieren, werden Sie Ärztin. In der Technologie aber ist das Berufsbild nicht so greifbar und klar. Durch die digitale Transformation aller Branchen und Lebensbereiche entstehen stets neue Berufe. Wir müssen ganz eindeutig besser vermitteln, was arbeite ich später, welche Möglichkeiten habe ich, welchen Beruf ergreife ich? Berufsbilder-Vermittlung ist für mich das A und O. Hinzu kommt die Digitalisierung und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen, sowie die Informatik in ihren Grundlagen und im Bereich Anwendungswissen in die Curricula der Schulen reinzubringen, und zwar in allen Schulformen – aus meiner Sicht schon in der Grundschule.
Es gibt eine ganze Reihe an Klischees gegenüber Männern und Frauen im Beruf. Sie haben einmal gesagt: „Wenn die Männer in den Raum kommen, die markieren erstmal jede Ecke wie so ein Hund, erst wenn die Hierarchie geklärt ist, dann wird es inhaltlich. Das ist etwas, was mich anstrengt, was ich auch selber erlebe, da muss ich sagen, da hab ich keine Lust drauf, ich möchte direkt ins Fachliche gehen und das Hierarchiegerangel gar nicht erst anfangen.“ Was sind aus Ihrer Sicht gute Taktiken, um das Hierarchiegerangel zu unterbinden?
Regitz: Ich glaube, es zu unterbinden, wird schwierig. Es ist einfach eine Verhaltensregel und es ist wichtig, diese zu kennen und zu wissen, was passiert, wenn Machtspiele gespielt werden. Umgekehrt müssen Männer auch verstehen, wenn ein Vorgesetzter beispielsweise zu einer Mitarbeiterin sagt: Ich habe ein ganz tolles Projekt, genau das, was du machen solltest. Und die Mitarbeiterin sagt: Hm, ich weiß aber nicht, dass dies eine typische Verhaltensweise von Frauen ist. Das heißt nicht, dass die Mitarbeiterin zögert, sondern dass sie genau verstehen will, worum es geht. Die Reflexion über Verhaltensweisen, sie zu kennen und dann ganz rational einordnen zu können, das war auch für mich persönlich ein sehr erhellender Moment.
In der Retroperspektive auf Ihre Karriere hatten Sie Vorbilder oder gibt es jemanden, wo Sie sagen, die Frau in Tech würde ich gerne einmal treffen?
Regitz: Vorbilder im eigentlichen Sinne gab es ganz viele – je nach Lebensphase. Wenn ich schon seit vielen Jahren sehr gut finde, ist Madeleine Albright. Ihr Zitat hat mich lange beschäftigt: Es gibt einen besonderen Platz in der Hölle für Frauen, die andere Frauen nicht unterstützen. Genau das war auch der Punkt, den ich an mir selber entdeckt habe, dass ich anderen Frauen gegenüber nicht immer wohl gesonnen war. Das Zitat trifft es exakt auf den Punkt, wir Frauen müssen als Allererstes anfangen, uns gegenseitig zu unterstützen. Das fand ich einfach großartig und ich habe mir auch gerade auch das neue Buch von Madeleine Albright bestellt, weil ich ihren Lebensweg und auch ihre Denkweise sehr schätze.
Wenn ich schon seit vielen Jahren sehr gut finde, ist Madeleine Albright. Ihr Zitat hat mich lange beschäftigt: Es gibt einen besonderen Platz in der Hölle für Frauen, die andere Frauen nicht unterstützen.
Wir geben Ihnen jetzt mal einen weiteren interessanten Job und machen Sie zur Chefredakteurin eines Leitmediums – egal ob Handelsblatt, Die Zeit oder FAZ: Welche Schlagzeile würden Sie zum Thema „Diversity/Frauen in der Tech-Branche“ im Aufmacher-Artikel gerne lesen? Und was soll in dem Artikel stehen?
Regitz: Meine Schlagzeile lautet: Frauen-Ressort des BMFSFJ erfolgreich ins Wirtschaftsministerium übergeben. Frauen sind keine Minderheit und sollten auch nicht als solche gesehen werden. Deshalb wünsche ich mir diese Schlagzeile und das Frauen-Ressort ins Wirtschaftsministerium.
Wir möchten gerne auch Ihre Aspekte und Fragen in die Diversity-Debatte einbringen. Gibt es eine Frage, die aus Ihrer Sicht zu wenig Beachtung findet oder ein Herzensthema, das Sie umtreibt? Welche Frage möchten Sie uns in diesem Zusammenhang für die nächste Interview-Partnerin mitgeben?
Regitz: Eine Studie der UNESCO verdeutlicht, dass in Ländern, die nicht unbedingt für Gleichberechtigung stehen wie bspw. Saudi Arabien, Malaysia, Myanmar deutlich mehr Frauen einen wissenschaftlichen Abschluss in MINT-Fächern machen. Meine Frage lautet daher: Warum studieren gerade in den Ländern so viele Frauen ein MINT-Fach? Und was können wir darüber reflektieren und daraus lernen?
Unsere Interview-Partnerin Agnes Heftberger, VP Sales IBM DACH, hat uns folgende Frage für Sie mitgegeben: Was können wir als Unternehmen der deutschen Wirtschaft tun, um dort wo die Challenge startet – nämlich in der Bildung – schon früh gleichberechtigte Rahmenbedingungen zu schaffen? Es wird ja stets an Politik und Strukturen verwiesen aber was ist unser Beitrag als Wirtschaft dazu?
Regitz: Der Beitrag der Wirtschaft ist schon relativ groß, weil die Lücke der Fachkräfte stetig wächst. Unternehmen unterstützen in vielfältiger Weise schulische Projekte und versuchen auf die Politik einzuwirken. Insofern lässt sich natürlich diskutieren: Tun Unternehmen genug in Richtung der Politik und der bestehenden Strukturen oder könnten Unternehmen an der Stelle nicht eine Lobby bilden oder Beiträge liefern, die Politik dann einsetzen kann? Das ist allerdings genau die Herausforderung. SAP beispielsweise sitzt im Dreiländereck (Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen). Und Bildung ist im Wesentlichen Ländersache und damit erschwert der Föderalismus ein zentrales Rahmenwerk, weil jedes Bundesland seine eigene Agenda und seine eigene Regierung hat.
Vielen herzlichen Dank für Ihre Zeit und das Interview, Frau Regitz!
Für unsere Serie #LIT Ladies in Tech suchen wir weitere spannende Interview-Partnerinnen und -Partner. Kontaktieren Sie uns gerne bei Interesse. Schreiben Sie gerne eine E-Mail an: hanna.vonderau(at)eco.de