Sie sind Geschäftsführerin der IBM Deutschland und leiten als Vice President den Bereich Vertrieb bei IBM Deutschland, Österreich und Schweiz, sind bereits seit 19 Jahren bei IBM beschäftigt und haben im Konzern eine beeindruckende Karriere hingelegt. Wie gestaltet sich Ihr Arbeitstag?
Agnes Heftberger: Mein Arbeitstag ist tatsächlich sehr abwechslungsreich. Da gibt es ganz unterschiedlichste Aufgaben und Themen von Interaktionen mit Kunden über Strategie-Projekte oder Karriere-Entwicklungsgespräche bis hin zu Interviews oder Speaker-Tätigkeiten auf Events. Meine Position umfasst viele unterschiedliche Facetten und das macht den Job aus meiner Sicht so spannend.
Was ist denn das Spannendste an Ihrem Job?
Heftberger: Sicherlich die Komplexität. Ich bin jemand, der sich schnell langweilt. Routine ist daher absolut nichts für mich. Ich finde gerade die unterschiedlichen Anforderungen, die mein Job mit sich bringt, sehr spannend. Ich arbeite immer mit Menschen, ich arbeite mit Technologie. Gemeinsam mit meinem Team und unseren Kunden überlegen wir, wie wir Technologie so einsetzen können, dass wir ein Unternehmen, eine ganze Branche, einen Teil unserer Gesellschaft ein Stück besser machen. Ich kann mir keine bessere Kombination vorstellen.
Was muss ich mitbringen an Soft Skills oder an fachlichen Kompetenzen, um in so eine Position zu bekommen?
Heftberger: Es gibt drei Elemente, die meiner Meinung nach wichtig sind. Das eine ist die Freude am Lernen. Wir agieren in einem sich sehr schnell bewegenden Markt, da braucht es die Freude, jeden Tag ein Stück weit etwas dazuzulernen zu wollen. Als zweiten Aspekt braucht es die Begeisterung für Leadership und damit eine Begeisterung für Menschen. Die Fähigkeit, andere zu begeistern, ist essentiell, einerseits im eigenen Team, in der eigenen Organisation, anderseits Menschen, die außerhalb des Unternehmens stehen. Drittens schadet es natürlich nicht, wenn man sich Erfahrungen aufbaut und verschiedenste Projekte auch wirklich erlebt hat und damit einhergehend auch eine gewisse Resilienz aufbaut. Transformations-Projekte oder Leadership-Rollen verlaufen nicht immer hundertprozentig glatt. Es gibt immer unvorhergesehene Dinge und dann braucht es die Fähigkeit, sich davon nicht entmutigen zu lassen, sondern daraus zu lernen und die gewonnenen Erkenntnisse für das nächste Mal mitzunehmen.
Sie bringen nicht nur eine unheimliche Begeisterung und Offenheit für Neues und für Menschen mit, sondern auch für Diversity und Female Empowerment. Sie sind u. a. für den eco://award in der Kategorie #LiT – Ladies in Tech nominiert. Warum ist Ihnen das Thema Diversity persönlich wichtig?
Heftberger: Es ist für mich persönlich wichtig, weil ich glaube, dass es für die Gesellschaft extrem wichtig ist. Wir haben noch viele klassische Schalthebel in unserer Gesellschaft, die nicht gleichberechtigt besetzt sind, beispielsweise in Wirtschaft, Politik oder Forschung. Solange diese Stellen sehr einseitig besetzt sind, glaube ich, dass wir unserer Gesellschaft nicht den besten Dienst erweisen, und von daher ist Diversity für mich ein Herzensthema. Der zweite Grund ist einfach: Wir sprechen extrem viel über das Thema. Aber unterm Strich kommen wir nur sehr langsam voran. Es ist noch ein langer Weg, und ich will nicht am Schluss irgendwie mitwandern oder einen beschwerlichen Wanderweg gestalten, sondern diesen Weg ebnen und ihn zu einer Autobahn machen.
Wir haben noch viele klassische Schalthebel in unserer Gesellschaft, die nicht gleichberechtigt besetzt sind, beispielsweise in Wirtschaft, Politik oder Forschung. Solange diese Stellen sehr einseitig besetzt sind, glaube ich, dass wir unserer Gesellschaft nicht den besten Dienst erweisen, und von daher ist Diversity für mich ein Herzensthema.
Wir haben in Deutschland nur knapp 17 % Frauen in der IT. In Führungsetagen wird der Gender Gap noch größer. Haben Sie eine Idee, wie wir mehr Vielfalt in die Führungsetagen bringen können?
Heftberger: Was es braucht, ist einfach mehr Mut! Ich sehe viel zu oft ein schablonenhaftes Verhaltensmuster, in dem wiederholt wird, was wir schon die letzten Jahrzehnte gemacht haben. Wenn ich immer dasselbe mache, dann erhalte ich eben immer das durchschnittlich schlechte Ergebnis in dem Sinne, dass Teams so zusammengesetzt bleiben wie sie momentan sind. Ich glaube, wir brauchen Frauen und Männer, die den Mut haben, es anders zu machen. Ich bin hundertprozentig davon überzeugt, wenn wir Frauen die Chance geben, dann beweisen sie sich auch. Die Ergebnisse, die diese Frauen in ihren Rollen einfahren, sprechen für sich.
Die Coronakrise wird in Bezug auf die Auswirkungen zur Geschlechtergerechtigkeit sehr unterschiedlich bewertet. Die Soziologin Jutta Allmendinger mahnte jüngst, die Pandemie befördere alte Rollenmuster. Um drei Jahrzehnte werde der erreichte Fortschritt in Bezug auf die Geschlechtergerechtigkeit zurückgeworfen. Anderseits gehen Studien (z. B. das „Working Paper No. 26947“ der Cambridge University) davon aus, dass Frauen langfristig vom Corona-bedingten Wandel unserer Arbeitswelt profitieren können. Wie sehen Sie ganz persönlich als Geschäftsführerin, Ehefrau, Mutter die Herausforderung der Pandemie und die Auswirkungen auf die Geschlechtergerechtigkeit?
Heftberger: Die COVID19-Pandemie ist natürlich eine riesige Herausforderung für jeden von uns – auch für mich als Geschäftsführerin, als Ehefrau, als Mutter, als Individuum. Mein Sohn hätte zum Beispiel zu Beginn der Krise seine Kita starten sollen, da gab es monatelang Überbrückungsnotwendigkeiten. Das war alles andere als einfach aber mein Mann und ich haben das gemeinsam gut gemeistert. Auf der anderen Seite war ich deutlich weniger unterwegs und konnte meinen Sohn viel häufiger sehen. Generell habe ich versucht, die Chance zu nutzen und als Leader vorzuleben, dass die Integration zwischen Arbeit und Privatleben gut funktionieren kann.
Von Vorteil war sicherlich, dass Mobile Working bei IBM schon sehr lange zum Standard gehört und wir bei IBM daher schon gut ausgestattet waren. Aber es gibt viele Unternehmen, mit denen ich täglich zu tun habe, bei denen das nicht der Fall war. Da habe ich das Gefühl, dass die Akzeptanz für technologische Tools und flexiblere Arbeitsmodelle eindeutig gestiegen ist. Ich denke, dass viele Männer im Homeoffice gemerkt haben, was ihre Frauen eigentlich an Care-Arbeit leisten und hoffe daher, dass Frauen langfristig vom Corona-bedingten Wandel unserer Arbeitswelt profitieren können.
Ich würde gerne auch auf Ihr Herzensthema kommen: Mentorship. In Ihrem LinkedIn Artikel schreiben Sie sinngemäß: Man lernt immer in zwei Richtungen. Was haben Sie von einem Ihrer letzten Mentee gelernt?
Heftberger: Ich habe immer mehrere Mentees und lerne immer aus der Interaktion. Was mich jüngst wirklich beeindruckt hat, war ein extrem hoher Grad an Hartnäckigkeit, den ich vielleicht schon ein Stück weit verloren hatte. Ich habe eine Mentee, die sehr wie ein Entrepreneur denkt und im Konzern ein Projekt treibt, das etwas ausserhalb unserer Standard-Projekte war. Ich habe oft mit ihr über das Projekt gesprochen, und es war dann echt mal ein Punkt gekommen, an dem ich nicht mehr so sicher war, ob sich das jetzt noch irgendwie durchziehen lässt. Aber sie war eben sehr hartnäckig und beim letzten Gespräch hat sie mir erzählt, dass es geklappt hat. Ich bin selbst sehr resilient, aber das war schon beeindruckend.
Wenn ich jetzt einen Mentor suche, wie sollte ich da vorgehen? Wie stelle ich das am besten an?
Heftberger: Was aus meiner Erfahrung am besten funktioniert ist, einfach ansprechen und fragen. Dabei sollte man eine Person wählen, die Hürden überstanden hat, die ein Stück weit einen anderen Ansatz hat als man selbst und einen Weg beschreitet, der interessant scheint. Und ich empfehle jedem, ruhig mehrere Mentoren zu haben – jeder Mentor erweitert den Horizont. Natürlich habe ich als Mentorin nur eine gewisse Kapazität, aber ich freue mich immer, wenn mich jemand fragt. Auch wenn ich sagen muss: „Es tut mir leid, aber ich habe meine Kapazitäten erreicht“. In solchen Fällen gebe ich dann aber immer einen Tipp mit, an wen man sich wenden könnte.
Ich empfehle jedem, ruhig mehrere Mentoren zu haben – jeder Mentor erweitert den Horizont.
Sie haben auf LinkedIn einen sehr interessanten Artikel über Mentorship geschrieben. Darin geben Sie auch Tipps für Mentoren. Was macht aus Ihrer Sicht einen guten Mentor aus?
Heftberger: Essentiell ist das ein Interesse und Verständnis für den Mentee. Ein Mentor muss den Menschen ganzheitlich verstehen wollen, mit all seinen Ambitionen, mit den Rahmenbedingungen, mit seinen persönlichen Präferenzen, seiner Vergangenheit und Prägung. Das impliziert die Bereitschaft zuzuhören, sich reinzudenken und gute Fragen zu stellen. Ich fand eine Ergänzung aus der LinkedIn Community zudem sehr wertvoll: Als Mentor sollte ich das eigene Netzwerk öffnen, weil es der beste Multiplikator ist. Eine ehemalige Mentorin von mir konnte beispielsweise eine Speaker-Tätigkeit nicht wahrnehmen und fragte mich: Magst du vielleicht? Das war sehr hilfreich und hat mir ein paar weitere Türen geöffnet. Das Netzwerk-Öffnen gilt insbesondere, wenn es um Mentoring von Frauen geht. Wir stellen immer wieder fest, dass es langjährige über Jahrzehnte lang aufgebaute Netzwerke gibt und Frauen da nur mühsam reinkommen.
Sie hatten auch selber Vorbilder und Mentoren. Wenn Sie selbst eine beliebige, weibliche Persönlichkeit (gerne aus der Tech-Branche) – egal ob lebendig oder tot – treffen dürften: Wer wäre es und warum?
Heftberger: Da gibt es ganz, ganz viele inspirierende Personen international und im DACH-Raum. Ich bin grundsätzlich von großer Neugier getrieben. Wenn ich die Chance dazu hätte, würde ich 365 Tage mit jemandem Mittagessen, den ich inspirierend finde. Für mich ist es besonders wichtig, dass auch etwas nachhallt von den Inspirationen, die ich gewinne und sich die Erkenntnisse im eigenen Handeln und Denken widerspiegeln.
Da fällt mir sofort meine Begegnung mit Shirley Ann Jackson, Ph. D., ein, die ich Anfang des Jahres in den USA getroffen habe. Jackson ist eine der renommiertesten Physikerinnen der USA und Präsidentin des Rensselaer Polytechnic Institute. Sie war die erste Afro-Amerikanerin, die am MIT einen Doktor gemacht hat, hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, war im technologischen und wissenschaftlichen Berater-Stab von Obama und sitzt jetzt im Board von IBM. Ich finde es extrem spannend, wie sie ihren Weg gegangen ist. Wie sie schon in der Schule auf die Idee gekommen ist, sich mit Science zu beschäftigen, welche Rolle ihre Lehrerin und ihre Eltern dabei gespielt haben, wie sie sich durchgekämpft hat und sich in der Wissenschaft einen Namen gemacht hat.
Sie sind Geschäftsführerin bei IBM. Sie haben umfassende Erfahrung im Bereich Leadership. Welche Art von Führungsverständnis braucht das digitale Zeitalter?
Heftberger: Wir haben vor einer Weile eine Initiative namens „Positive Leadership“ bei IBM eingeführt, alle unsere Führungskräfte entsprechend geschult und das Konzept breit ausgerollt. Für mich ist Servant Leadership die Basis für Positive Leadership. Nach dieser Philosophie ist die Führungskraft nicht jemand, der über anderen steht und Arbeitsanweisungen gibt und beurteilt, sondern jemand, der dem Team Mehrwert liefert, der Dienst am Team leistet. Das ist für mich persönlich das Mantra. Ein Leader muss das Individuum und das Team in die Lage versetzen, das Bestmögliche, was in jedem Einzelnen drinsteckt, auch wirklich zutage zu fördern. Ich bin extrem begeistert, dass wir den mit Positive Leadership einhergehenden Kulturwandel bei IBM tief verankert haben.
Für mich ist Servant Leadership die Basis für Positive Leadership. Nach dieser Philosophie ist die Führungskraft nicht jemand, der über anderen steht und Arbeitsanweisungen gibt und beurteilt, sondern jemand, der dem Team Mehrwert liefert, der Dienst am Team leistet.
Die Pandemie braucht ein anderes Verständnis von Führung. Gerade Führungskräfte, die zum Mikromanagement neigen, müssen jetzt loslassen. Was braucht Digitales Leadership in Pandemiezeiten?
Heftberger: Ich glaube in Pandemiezeiten, in denen Teams ausschließlich virtuell miteinander agieren, wird ein ohnehin schon wichtiger Aspekt wichtiger und zwar, sich als Leader intensiv mit den Menschen im Team auseinanderzusetzen Wo stehen sie? Wo haben sie ihre Schwierigkeiten? Wo haben sie ihre großen Potenziale, die man bisher vielleicht nicht heben konnte? Wie kann ich ihnen helfen und gleichzeitig auch sicherzustellen, dass der Mensch sich im Team wohlfühlt? Genauso wichtig ist es, Raum für die Mitarbeiter zu schaffen und auch Verständnis dafür zu zeigen, wenn es gerade nicht so einfach ist. Wenn man alleine lebt und jetzt die Decke auf den Kopf fällt oder wenn man eine Familie zu versorgen hat. Dafür muss ich als Leader ein Gespür haben. Ich halte das eigentlich für unerlässlich, und ich glaube, es gibt auch für dieses traditionelle, kontrollierende, hierarchisch Autoritäre keinen Platz mehr.
Nina Gohlke von Salesforce hat uns folgende Frage für Sie mitgegeben: Wie gewinnen wir mehr Männer als “Allies”, um Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen?
Heftberger: Sehr interessante Frage und ich glaube, Frau Gohlke hat recht. Um auf dem Weg zu mehr Diversity schneller ans Ziel zu kommen, brauchen wir männliche Allies. Erfahrungsgemäß funktioniert es am besten, wenn man die Männer bei einem Trigger packt, der sie persönlich anspricht. Viele sind Väter von Töchtern oder haben eine weibliche Führungskraft oder ein weibliches Talent in ihrem Team. Ich glaube es ist pragmatisch und erfolgsversprechend über diesen Trigger männliche Allies zu gewinnen. Einfach zu sagen, da machst du so viel für deine talentierte Mitarbeiterin, wie können wir das auch auf weitere weibliche Talente ausweiten und andere dafür begeistern? Vielleicht lässt sich so auch erreichen, dass Gleichberechtigung auch ein ernsthaftes Mann-zu-Mann-Gesprächsthema wird?
Um auf dem Weg zu mehr Diversity schneller ans Ziel zu kommen, brauchen wir männliche Allies. Erfahrungsgemäß funktioniert es am besten, wenn man die Männer bei einem Trigger packt, der sie persönlich anspricht. Viele sind Väter von Töchtern oder haben eine weibliche Führungskraft oder ein weibliches Talent in ihrem Team.
Vielen Dank! Dann würde ich Ihnen auch gern die Gelegenheit geben, eine Frage für unsere nächste Interviewpartnern zu formulieren.
Heftberger: Was können wir als Unternehmen der deutschen Wirtschaft tun, um dort wo die Challenge startet – nämlich in der Bildung – schon früh gleichberechtigte Rahmenbedingungen zu schaffen? Es wird ja stets an Politik und Strukturen verwiesen aber was ist unser Beitrag als Wirtschaft dazu?
Herzlichen Dank für Ihre Zeit und das Interview, Frau Heftberger!
Für unsere Serie #LIT Ladies in Tech suchen wir weitere spannende Interview-Partnerinnen und -Partner. Kontaktieren Sie uns gerne bei Interesse. Schreiben Sie gerne eine E-Mail an: hanna.vonderau(at)eco.de