Sie sind Geschäftsführer der digital@M GmbH, eine 100 prozentige Tochter der Stadt München. Dort treiben Sie die Digitalisierung der Stadt und der öffentlichen Verwaltung voran. Zuvor waren Sie als CIO und CDO in verschiedenen Unternehmen tätig und haben die digitale Transformation von Geschäftsmodellen unterstützte. Dass Diversity für Sie kein reines Lippenbekenntnis ist spürt jeder, der Sie einmal auf einem Panel zu dem Thema erlebt und einen Blick auf Ihre Social-Media-Accounts wirft. Sie haben bei digital@M eine Frauenquote von 55 Prozent. Warum ist Ihnen das Thema Diversity wichtig?
Peter Janze: Im Zuge der immer schneller voranschreitenden technologischen Entwicklung wandeln sich Geschäftmodelle im selben Maße. Es wird immer wichtiger, Technologien schnell zu adaptieren und Innovationen voranzutreiben, um den geschäftlichen Erfolg einer Unternehmung sicherzustellen. Aber auch ethische Fragen, z.B. beim Training maschineller Intelligenz, treten mehr und mehr in den Vordergrund. Um mit dieser zunehmenden Komplexität Schritt zu halten braucht es diverse Teams, die verschiedene Perspektiven in Diskussion und Lösungsfindung einbringen. Diversität geht für mich allerdings noch weiter: Entscheidend sind auch Aspekte wie Alter, Bildung oder Kultur zu betrachten. Mir persönlich bereitet es unheimlich Freude, in einem diversen Team komplexe Probleme zu beleuchten, so dass ich nur empfehlen kann, diese Erfahrung zu suchen.
Wenn ich mich auf Ihren Job bewerben möchte, was würde mich im Arbeitsalltag erwarten? Und was muss ich für den Job unbedingt mitbringen?
Janze: Die digital@M beschäftigt sich mit der Digitalisierung der Landeshauptstadt München, unsere Arbeit wirkt somit nicht nur in der Verwaltung, sondern es profitieren alle Bürger*innen der Stadt. Neben Leidenschaft für neue Technologien benötigt es unbedingt Freude an der Arbeit mit Menschen: Empathie, Verständnis und Fingerspitzengefühl. Nur gemeinsam und in übergreifender Zusammenarbeit im Team kann die Modernisierung der Verwaltung gelingen.
Um es mit dem amerikanischen Soziologen Michael Kimmel zu sagen: We cannot fully empower women and girls without also engaging men and boys, and when we do, we find out that gender equality is a good thing for men as well as women. Wie gewinnt man aus Ihrer Sicht jene zum Umdenken, die aufgrund ihrer Merkmale zu den Privilegierten der Unternehmenswelt gehören?
Janze: Aus meiner Sicht hilft es, sich mit dem Thema „unconcious bias“ zu beschäftigten. Am besten in einer Gruppe, denn die Diskussion gehört dazu. Dennoch liegt es in der Natur von Organisationen, gewachsene Zustände stabil halten zu wollen. Zu einem Umdenken kommt es erst, wenn positive Erfahrungen gesammelt werden. Daher ist es essentiell, dass Diversität in der Unternehmensstrategie verankert und vorgelebt wird, so dass es Teil der Unternehmenskultur wird.
Daher ist es essentiell, dass Diversität in der Unternehmensstrategie verankert und vorgelebt wird, so dass es Teil der Unternehmenskultur wird.
Der Frauenanteil liegt bei Ihnen bei 55 Prozent, in Führungspositionen sogar bei 65 Prozent. Was machen Sie im Recruiting bei digital@M anders? Und was raten Sie Unternehmen, die gerne mehr Bewerbungen von Frauen generieren möchten?
Janze: Ich kann nur aus unserer gesammelten Erfahrung Tipps geben: Wir tragen nach außen, dass Diversität in unserem Unternehmen wichtig ist und, dass wir uns dazu Gedanken machen. Bereits der Stellenanzeigentitel sagt sehr viel aus: Warum wird „m/w/d“ benutzt und nicht „d/m/w“ oder „w/m/d“? Die Verwendung von gendergerechter Sprache sowie klischeefreiem, eigenen Bildmaterial ist ebenfalls essentiell. Natürlich spielt auch der Inhalt der Stellenanzeige selbst eine Rolle. Wenn es dann zu einem Kennenlerngespräch kommt, findet dieses immer paritätisch besetzt statt. Wir legen zudem sehr viel Wert auf ein Team- und Kultur-Kennenlernen.
Als hilfreich sehe ich Role Models an: Beispielsweise halten unsere Kolleginnen Vorträge und tragen einen wichtigen Beitrag zur Bekanntheit bei. Diesen Freiraum sollten Unternehmen folglich bieten.
Das sind tolle Impulse und Anregungen, um als Unternehmen meine Diversität in der Dimension Gender zu stärken. Jedoch ist das Recruiting nur der Anfang. Wie müssen Maßnahmen aussehen, um Frauen langfristig zu binden und in Führungspositionen zu bringen?
Janze: Langfristig möchte ich natürlich gerne alle Mitarbeitenden binden. An dieser Stelle müssen wir über neue Arbeits- und Hierachiemodelle sprechen, die Einzug halten. Zu oft erlebt man „Business Theater“, welches den Frustlevel steigen lässt. Ziel muss es sein, sinnstiftende Arbeit mit den Kunden in den Fokus zu rücken. Das bedeutet auch ein weg von der reinen Anwesenheitszeit als Karrierekriterium: Bereits heute verfügbare Technologien ermöglichen es, dass Familie und Beruf viel besser miteinander vereinbart werden können, da es immer weniger eine Rolle spielt, ob man remote oder in Teilzeit arbeitet. Letzteres darf dann natürlich auch nicht mehr das Karriereaus bedeuten.
Und wie bringt man nun Frauen in Führungspositionen? Einfach machen. Bei Männern wird oft gesagt „Das traue ich ihm zu“, Frauen hingegen müssen sich beweisen. Diese Denkmuster zu durchbrechen ist gar nicht so einfach, wenn man sich nicht bewusst ist, dass sie existieren.
Bei Männern wird oft gesagt „Das traue ich ihm zu“, Frauen hingegen müssen sich beweisen. Diese Denkmuster zu durchbrechen ist gar nicht so einfach, wenn man sich nicht bewusst ist, dass sie existieren.
Ein weiteres Instrument zur Förderung von Vielfalt in Chefetagen ist die Frauenquote. Familienministerin Franziska Giffey (SPD) hatte zuletzt einen Gesetzentwurf für eine Frauenquote in Vorständen großer börsennotierter Unternehmen mit mehr als 2.000 Mitarbeitern vorgelegt. Was halten Sie von Quoten?
Janze: Nur mit ambitionierten Zielen beginnt man, Veränderungen voranzutreiben. Ich bin daher Befürworter einer 50%-Quote. Ich habe leider selbst beobachten müssen, wie sich Top-Leistungsträgerinnen mit frischen Ideen nicht gegen etablierte Netzwerke und Denkweisen durchsetzen können und die sprichwörtliche „gläserne Decke“ Vielfalt verhindert. Ich bin zudem fest überzeugt, dass mit einem relevanten Frauenanteil im Management der generelle Frauenanteil im Unternehmen steigt.
Wir haben jetzt viel auf die Unternehmensseite geschaut. Das wäre jedoch zu einseitig. Lassen Sie uns daher auch auf die andere Seite schauen. Aus Ihrer langjährigen Erfahrung als Führungskraft, was können Frauen besser machen?
Janze: Leider wird Frauen häufig suggeriert, dass sie sich verändern müssen: Sprüche wie „Sprecht mit tieferer Stimme“ oder „Tragt lieber einen Hosenanzug statt eines Kleides“ gehören in eine gut abgeschlossene Schublade, denn Angepasstheit verhindert Diversität. Es gilt also, sich seiner eigenen Stärken bewusst zu werden und an diesen zu arbeiten bzw. diese weiter zu stärken und mit diesen sichtbar zu werden.
„Sprecht mit tieferer Stimme“ oder „Tragt lieber einen Hosenanzug statt eines Kleides“ gehören in eine gut abgeschlossene Schublade, denn Angepasstheit verhindert Diversität.
Haben oder hatten Sie selbst Vorbilder, die Sie inspiriert und/oder gefördert haben?
Janze: Ein klares Vorbild habe ich nicht, da ich der Überzeugung bin, dass es nicht gut ist, einer Person nachzueifern. Schlussendlich ist man ja immer noch man-selbst. Aber selbstverständlich gibt es viele inspirierende Menschen in meiner beruflichen als auch privaten Umgebung, von denen ich lerne.
Sie sind sicherlich auch ein Vorbild für andere Führungskräfte: Welche drei Eigenschaften sollte eine gute Führungskraft aus Ihrer Sicht mitbringen?
Janze: Wichtig sind aus meiner Sicht mindestens: Reflektiertheit, Transparenz und Förderung. Das eigene Handeln sollte man hinterfragen und die Wirkung reflektieren. Hilfreich sind dazu aktiver Austausch mit seinem Team, aber auch mit anderen Personen. Transparenz und Offenheit fördern die Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen – besonders wichtig ist dies, wenn es um unangenehme Dinge geht. Und Förderung steht dafür, dass man die Leistungen des Teams bzw. der am Ergebnis Beteiligten in den Vordergrund stellen sollte. Glaubt an eure Mitarbeiter*innen und stärkt sie in dem, was sie tun.
Wir geben Ihnen jetzt mal einen weiteren interessanten Job und machen Sie zum Chefredakteur eines Leitmediums – egal ob Die Zeit, FAZ oder Handelsblatt: Welche Schlagzeile würden Sie zum Thema „Diversity/Frauen in der Tech-Branche“ im Aufmacher-Artikel gerne lesen? Und was soll in dem Artikel stehen?
Janze: Spannender Job! In der Headline steht „Unternehmen setzen auf eine paritätisch besetzte Doppelspitze“. Die ersten Gehversuche in diese Richtung gibt es ja bereits.
Wir möchten gerne auch Ihre Aspekte und Fragen in die Diversity-Debatte einbringen. Gibt es eine Frage, die aus Ihrer Sicht zu wenig Beachtung findet oder ein Herzensthema, das Sie umtreibt? Welche Frage möchten Sie uns in diesem Zusammenhang für die/den nächsten Interview-Partner/in mitgeben?
Janze: Eine paritätisch besetzte Doppelspitze finde ich eine interessante Möglichkeit, Unternehmen in die Zukunft zu führen und auch den Vielfalts-Gedanken an ganz zentraler Stelle zu verankern. Wie kann man dieses Modell zum Erfolg führen?
Zum Schluss noch eine wirklich schwierige Frage, die uns Deepa-Gautam Nigge von SAP für Sie mitgegeben hat. Die Unternehmen haben die Wichtigkeit von Diversität erkannt. Wir wissen, wir müssen Diversität in all ihren Dimensionen fördern. Auch die gesellschaftliche Notwendigkeit dafür ist in allen Bereichen mehr als evident. Schaffen wir die geeigneten Strukturen profitieren nicht nur Frauen, sondern in der positiven Folge auch andere benachteiligte Gruppen. Trotz dieser Erkenntnis zementiert der Unconcious Bias gerade im mittleren Management mit zunehmendem Aufstieg in der Hierarchie eine Abrisskannte. Wie schaffen wir es, systematisch eine inklusive Kultur zu verankern, dass sich Frauen mittelfristig weiter durchsetzen und ihr Potential gezielt entfaltet wird?
Janze: Wie Deepa-Gautam Nigge sagte ist Diversität kein eindimensionales Thema. Von einer inklusiven Kultur profitieren alle – im besten Fall nicht nur Personen, die durch ein bestimmtes Raster fallen. Sich mit unconcious bias zu beschäftigen ist ein wichtiger Punkt: Jede*r von uns hat bias im Kopf. Die müssen nur ständig hinterfragt werden. Wenn ich gendergerechte Sprache in einem Dialog nutze, ist das ein erster Schritt. Diversity und Inclusion muss auf allen Ebenen vorgelebt werden. Das mittlere Management wird gerne als Abrisskante bezeichnet – die „Gläserne Decke“. Deswegen muss Diversity und Inclusion in der Unternehmensführung aktiv vorangetrieben werden.
Für unsere Serie #LIT Ladies in Tech suchen wir weitere spannende Interview-Partnerinnen und -Partner. Schreiben Sie bei Interesse gerne eine E-Mail an: hanna.vonderau(at)eco.de