Es gibt tausende gute Gründe, warum die Internetwirtschaft weibliche Verstärkung braucht. Schließlich stehen zahlreiche Jobangebote dem Fachkräftemangel gegenüber oder aber homogene Teams und Denkweisen Innovationen im Wege. Die Digitalbranche boomt, täglich entstehen neue digitale Geschäftsmodelle und schaffen lukrative Jobs, doch die lassen sich Frauen noch zu häufig entgehen. Wir wollen das ändern. In unserer Serie „Frauen in der Tech-Branche“ kommen inspirierende weibliche Fach- und Führungskräfte der Internetbranche zu Wort. Dabei sprechen wir über die wirklich wichtigen Themen: von Entwicklungsperspektiven über Karrieretipps und Zukunftswünsche bis hin zu den Herausforderungen in einem männerdominierten Arbeitsumfeld und warum Arbeit in der Internetbranche Spaß macht. Diesmal mit: Stefanie Kemp, ehemals Head of Business Transformation, Innovation and Digital bei der Lowell Group, jetzt Country Leader Oracle Germany und Mitglied im eco Präsidium.
Was steht auf Ihrer Visitenkarte?
Stefanie Kemp: Head of Business Transformation, Innovation and Digital.
Klingt interessant. Wenn ich Ihre Position hätte, was würde mich in meinem Arbeitsalltag bei der Lowell Group erwarten? Und was finden Sie besonders spannend an Ihrem Job?
Kemp: Der spannendste Teil ist für mich die Digitalisierung. Dieser Bereich behandelt interessante Fragestellungen und Themenblöcke wie bspw. zukünftige Geschäftsmodelle aussehen. Daraus lässt sich die Frage ableiten, inwieweit wir unseren Beitrag für ein digitales Ökosystem leisten können. Wir wollen natürlich unser Geschäft innovieren. Das sind die spannenden Momente, die irre viel Spaß machen. Gerade planen wir beispielsweise einen Workshop mit einem Entrepreneur. Er wurde durch das Land NRW gefördert und hat eine Start-up-Szene bzw. -Plattform aufgebaut. Aufgrund seines starken digitalen Fokuses fordert er uns immer heraus. Sein Erfolskonzept ist das Denken in disruptiven Strukturen. In meinem Arbeitsalltag beschäftige ich mich jedoch nicht auschließlich mit Innovation Hubs, sondern bin bis zu 80 Prozent in Meetings eingebunden.
Haben Sie selbst noch Vorbilder? Nehmen wir an Sie selbst könnten eine beliebige, weibliche Persönlichkeit (gerne aus der Tech-Branche) – egal ob lebendig oder tot – treffen: Wer wäre es und warum?
Ich glaube, Vorbilder sind für mich viele Menschen, denen ich täglich begegne. Das können offenkundig ganz simple Dinge sein. Ich finde es toll, wenn Menschen, die in einem Meeting sitzen, demjenigen, der eine Präsentation hält, auch wirklich zuhören, die sich wirklich darauf einlassen und fragen stellen und verstehen wollen. Respektvolles Miteinander kann hier als Schlagwort dienen. Das ist für mich eine Vorbildfunktion und vorbildliches Verhalten. Über prominente Vorbilder habe ich mich heute mit meinem Kollegen André unterhalten und da kamen wir auf Lady Di. Lady Di hat sich einerseits selber zelebriert, aber anderseits durch ihre Wohltätigkeitsarbeit unheimlich viel für benachteiligte Menschen getan. Im Bereich Women in Tech gibt es für mich auch ein Vorbild: Ada Lovelace. Sie war eine Pionierin, um 1830/1840 und zu dieser Zeit gab es keine Frauenquote. Sie hat es mit ihrem Wissen geschafft, mit ihrer Leidenschaft und mit ihrem Interesse, sich als Mathematikerin weiterzuentwicklen. Natürlich nicht alleine, es gab einen Mann in ihrem Leben, der mit ihr zusammen die Analytical Engine entwickelt hat. Ihre Leistung und ihr Werk sind visionär. Lovelace schrieb sozusagen das erste Computerprogramm der Welt. Die Programmiersprache ADA wurde nach Ada Lovelace benannt.
Was sind die Dos and Don´ts für Frauen in der Internetbranche?
Kemp: Ein klares Do ist in jedem Fall authentisch bleiben, seinen Ambitionen und seiner Leidenschaft nachgehen. Das Don´t ist bloss nicht assimilieren und wie ein Mann agieren. Es gibt für mich nichts Schlimmeres, als wenn eine Frau, die dies nicht von ihrer Natur aus hergibt, sich da in der Männerdomäne ein Stück weit anpasst.
Es gibt für mich nichts Schlimmeres, als wenn eine Frau, die dies nicht von ihrer Natur aus hergibt, sich da in der Männerdomäne ein Stück weit anpasst.
Sie sind auch als Mentorin bei der Initiative Woman into Leadership tätig und machen sich stark für die Förderung von Frauen. Was machen Frauen denn aus Ihrer Sicht schon sehr gut und wo besteht andererseits Nachholbedarf?
Kemp: Wenn ich auf meine Mentorinnen-Rolle und die Zusammenarbeit mit meinen Mentees schaue, dann glaube ich, Frauen können durchaus noch an ihrem Selbstbewusstsein arbeiten. Was Frauen auch weniger tun und Männer immer tun, ist etwas direkt und klar auszusprechen und zu sagen: Das will ich. Das will ich nicht. Privat klappt das ja auch.
Wir geben Ihnen jetzt mal einen weiteren interessanten Job und machen Sie zur Chefredakteurin eines Leitmediums – egal ob Bild, Die Zeit oder FAZ: Welche Schlagzeile würden Sie zum Thema „Diversity/Frauen in der Tech-Branche“ im Aufmacher-Artikel gerne lesen? Und was soll in dem Artikel stehen?
Kemp: Ich würde auf der BILD-Titelseite gerne die Frage platzieren: Was hat uns die Frauen-quote gebracht? Sind schon 30 Prozent Frauen in den Aufsichtsräten? Möchte eine Frau eine Quotenfrau sein? Und was halten Männer eigentlich von der Quote? Da gibt es ja nach wie vor wahnsinnig kontroverse Diskussionen.
Was halten Sie selbst von der Frauenquote?
Ich persönlich fand es gut, dass diese Diskussion einmal angestoßen wurde. Ich möchte aber keine Quotenfrau sein. Ich möchte nach meiner Leistung und nach meinem Arbeitsalltag bewertet werden. Außerdem möchte ich auch keinen Job bekommen, nur weil an der Stelle die Diversity bzw. die Quote greift. Ich meine: Keine Frau dieser Erde möchte doch eine Quotenfrau sein. Ich war kürzlich in Vietnam, weil wir dort mit einem Offshore-Partner arbeiten. 50 Mitarbeiter haben dort für uns gearbeitet. Ich war so glücklich, dass 30 Prozent davon Frauen waren. Ich habe direkt ein Bild gepostet mit diesen jungen ambitionierten MINT Ladies, die wirklich Coder sind, die programmieren. Sie sitzen nicht nur da und managen Projekte oder sind Scrum-Master. In diesen Ländern ist es viel einfacher zu sagen, warum kann nicht eine Frau die gleichwertige Arbeit machen wie ein Mann.
Ich möchte nach meiner Leistung und nach meinem Arbeitsalltag bewertet werden. Außerdem möchte ich auch keinen Job bekommen, nur weil an der Stelle die Diversity bzw. die Quote greift.
Stichwort: Diversity. Wie muss aus Ihrer Sicht das ideale Team aussehen?
Kemp: Aus meiner Sicht macht das ideale Team aus, dass jeder seine Stärken und Schwächen kennt und dass diese ausbalanciert sind. Ich baue mir meine Teams nach dem Auffüllen meiner Schwächen auf und mit Kollegen, die mich herausfordern. Ich weiß, was ich gut kann und ich weiß, was ich nicht gut kann. Ich bin beispielsweise keine gute Controllerin. Eine gute Teamdynamik kommt genau dann zustande, wenn ich jemanden im meinem Team habe, der eben genau das einbringen und ergänzen kann, was fehlt. Wenn man sich ein Team nach dem Stärken-Schwächen-Profil aufbaut, dann kann man sehr erfolgreich sein. Dabei ist es egal, ob es ein reines Männer, reines Frauen oder ein gemischtes Team ist, da spielt Diversity für mich keine Rolle.
Was macht im Umkehrschluss für Sie eine gute Führungskraft aus?
Kemp: Eine gute Führungskraft zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich auf ihre Mitarbeiter einlässt und Feedback gibt. Eine gute Führungskraft fragt: Was sind denn eigentlich die Stärken? Bist du eigentlich glücklich mit dem, was du täglich machst? Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass Mitarbeiter sich in verschiedenen Projekten ausprobieren können, ein breiteres Aufgabenspektrum kennenlernen und sich neuen Herausforderungen stellen können. Ich kann mich an meinen allerersten Chef erinnern, der mich aus der damaligen Zeit heraus in eine echt große Herausforderung geworfen hat. Er hat mich mit Schulenglisch nach Boston geschickt und gesagt: Mach mal, guck mal, ob wir da was verkaufen können. Er hat mir aber nicht gesagt, wie es geht, sondern: Flieg da hin, versuch es und dann kommst du zurück und dann reden wir drüber.
Im Rahmen unserer Interview-Reihe haben wir beim letzten Mal Tijen Onaran getroffen. Sie hat uns folgende Frage für Sie mitgegeben: Was hilft in der Krise?
Kemp: Für mich ist das Wichtigste erst einmal zu verstehen, warum bin ich in der Krise. Also muss ich reflektieren. Wenn ich weiß, wo ich bin und warum ich da bin, kann ich auch dagegen angehen. Hilfreich ist auch ein großer Erfahrungsschatz, denn dann kommen Entscheidungen kognitiv aus dem Deep Learning heraus. Wenn man diese Erfahrungsmuster in der Krise anwendet, dann hilft es einem auch schnell aus der Krise wieder hinaus. Manchmal muss man durch das tiefe Tal der Tränen gehen. Es gibt nicht die steile Karriere, die tolle ansteigende Kurve, die immer nur nach oben geht. Ich kenne keinen, der nicht irgendwann einmal einen Zacken in der Krone hatte und sich nicht selbst auch mal die Frage gestellt hat, ob man da versagt hat. Und ja dann ist das so, aber die Frage ist: „Warum?“. Eins hat mich das alles gelehrt, es geht immer weiter. Solange man das Glück hat gesund zu sein, einen funktionierenden Kopf zu haben, zwei Hände und Füße, die einen tragen, geht es immer weiter.
Es gibt nicht die steile Karriere, die tolle ansteigende Kurve, die immer nur nach oben geht.
Wir möchten gerne auch Ihre Aspekte und Fragen in die Diversity-Debatte einbringen. Gibt es eine Frage, die aus Ihrer Sicht zu wenig Beachtung findet oder Sie umtreibt? Dann geben Sie uns diese doch bitte für unsere nächste Interviewpartnerin mit.
Kemp: Was erwarten Sie eigentlich von Männern, wenn Sie an Ihre Karriereplanung denken?
Ein sehr interessanter und wichtiger Aspekt. Können Sie uns mehr dazu erzählen, wie oder wer Sie in Ihrer beruflichen Entwicklung gefördert hat?
Ich hatte in meinem Berufsleben Gott sei Dank drei, vier Begegnungen in meinem Leben und das waren alles männliche Begegnungen, die mich gefördert haben. Hinter jeder starken, erfolgreichen Frau steht irgendwann mal ein starker, erfolgreicher und mutiger Mann. Das impliziert auch die Frage: Wie viele erfolgreiche, mutige Männer gibt es, die weibliche Talente fördern und sie ermutigen Führungspositionen zu ergreifen? Was ich zunehmend beobachte, wir Frauen sind doch etwas ängstlicher, aber auch emotionaler. Männer sind dagegen im beruflichen Kontext rationaler und agieren weniger emotional. Aber das macht ja eigentlich das Salz in der Suppe aus. Diskussionen laufen beispielsweise unter Beteiligung von Frauen anders ab als in einer reinen Männerrunde.
Vielen herzlichen Dank für das Interview, Frau Kemp!
Für unsere Serie #LIT Ladies in Tech suchen wir weitere spannende Interview-Partnerinnen und -Partner. Kontaktieren Sie uns gerne bei Interesse. Schreiben Sie gerne eine E-Mail an: hanna.vonderau(at)eco.de