Wie bist Du zur IT gekommen und was ist das Schönste an deinem Job?
Dr. Julia Freudenberg: Ich bin selbst keine IT-lerin, habe die IT aber quasi inhouse, da mein Mann leidenschaftlicher und begeisterter IT-ler ist. Ich habe 19 Jahre lang in der Wirtschaft in Konzernen gearbeitet, für Unilever war ich beispielsweise für die Markteinführung von Ben und Jerrys in Deutschland verantwortlich. Mit Mitte dreißig wollte ich etwas vollkommen Neues machen und habe in meiner zweiten Elternzeit meine Dissertation über die berufliche Integration von Geflüchteten geschrieben. Über die ehrenamtliche Arbeit mit Geflüchteten habe ich Andreas Ollmann, einen der Gründer der Hacker School, kennengelernt. Seit 2017 bin ich jetzt CEO der Hacker School. Für mich ist das mein Traumberuf. Ich verstehe zum ersten Mal den Zusammenhang zwischen Beruf und Berufung. Meine Mission lautet: Don´t give them fish but show them how to get the fish out. Das heißt für mich, wir müssen unsere Jugend dafür begeistern zu wissen, wie sie in dieser Welt zurechtkommt. Durch das Coden und das Entdecken neuer Welten gemeinsam mit IT-lern lernen die Kids die 21. Century Skills wie Kreativität, kritisches Denken, Kommunikation und kollaborative Zusammenarbeit. Wenn ich sehe, wie bei den Kids das Verständnis und die Begeisterung wächst, wie die Augen leuchten, wenn sie ihre Projekte in der Hacker School präsentieren, das macht mir so wahnsinnig viel Freude und gibt mir so unheimlich viel zurück.
Mit der GIRLS Hacker School habt ihr 2020 ein neues Projekt ins Leben gerufen, das sich gezielt nur an Mädchen und Frauen richtet. Was kam es dazu und was genau macht ihr da?
Dr. Julia Freudenberg: Wir haben festgestellt, dass wir in den „normalen“ Hacker School Angeboten 80 Prozent Jungs dabei haben, Mädchen oder auch Kinder aus sozial-benachteiligten Familien, die wir mit der Hacker School PLUS auch gezielt adressieren, erreichen wir hingegen nur sehr schwer. Wenn hingegen eine weibliche Firmenchefin wie beispielsweise Miriam Wohlfahrt mitmacht, dann sind schon mal 30 Prozent der Teilnehmenden Mädchen, von einer 50:50 Besetzung sind wir jedoch meilenweit entfernt. Stereotype und gesellschaftlich-geprägte Glaubenssätze sind einfach zu stark vorhanden. Daher lohnt es sich aus meiner Wahrnehmung, Mädchen segregiert stark zu machen, um ihr Selbstvertrauen zu pushen. Zielgruppen der GIRLS Hacker School sind daher Mädchen und Frauen von 11 bis 99 Jahren, sodass die Mädchen direkt mit ihrer Mutter oder einer weiblichen Bezugsperson teilnehmen können. Da merken die weiblichen Teilnehmer in der Gesamtheit ganz schnell, dass sie alles genauso gut können wie die Jungs. Mit der Hacker School setzen wir uns allgemein dafür ein, dass jedes Kind programmieren lernt, bevor es sich für einen Beruf entscheidet – vor allem für Mädchen und junge Frauen kann das ein entscheidender Schritt hin zu gelebter Gleichberechtigung sein.
Für alle Mitgliedsunternehmen und IT-ler, die jetzt denken: Tolle Sache, da will ich unbedingt mitmachen. Wie werde ich Inspirerer? Wer kann das überhaupt machen? Und wie läuft das ab?
Dr. Julia Freudenberg: Mitmachen können bei uns alle Unternehmen, die im weitesten Sinne mit Digitalisierung zu tun haben. Es muss nicht der klassische IT-Konzern sein. Wir können jede Unterstützung, sei es in Form zeitlicher oder finanzieller Ressourcen, sehr gut brauchen. Alle Unternehmen unterstützen uns ehrenamtlich. Sie stellen den Kontakt zu ihren IT-lern her – den sogenannten Inspirern. Die IT-Expertinnen und -Experten bringen wir dann für ein Wochenende mit den Kids zusammen und lassen sie zweimal vier Stunden lang „geilen Scheiß“ machen. Unser Ziel ist es, wie oben gesagt, die 21st Century Skills zu fördern. Wir bieten viele unterschiedliche Themen, wie etwa Spielentwicklung, Programmieren in Minecraft, Webseitendesign oder Künstliche Intelligenz mit Talking Emojis. Wir sind offen für die Ideen der Inspirer, bieten aber auch Konzepte und Code an, den die Inspirer für ihre Hacker School Session mit den Kids verwenden können. Aktuell unterstützen uns rund 500 Inspirer aus ganz Deutschland, aber das dürfen sehr gerne noch mehr werden.
Programmiersprachen und Informatik haben es noch nicht auf die Stundenpläne in deutschen Schulen geschafft. Ich mache Dich jetzt einmal zur Bildungsministerin, es gibt im Übrigen auch keinen Bildungsföderalismus. Was wünscht Du Dir für die digitale Bildung von Kids und insbesondere Mädchen. Wie sollte das aussehen?
Dr. Julia Freudenberg: Das Verständnis für die Bedeutung der Digitalisierung von Schulen und dass dort etwas passieren muss, ist spätestens coronabedingt definitiv vorhanden, in der Umsetzung haben wir sicherlich noch Herausforderungen. Mir liegt aber jede Form von Schulbashing fern, weil Lehrer und Lehrerinnen eine unglaublich große Aufgabe haben – schon allein was die Erziehungsarbeit betrifft. Ich glaube sogar, dass sich die Lehrerinnen und Lehrer in der Pandemie noch weitaus mehr engagieren. Mein Sohn besucht beispielsweise seit kurzem ein Gymnasium, was mit Moodle hervorragend umgeht, was diverse Hardware angeschafft hat und auch seine Grundschullehrerinnen haben viel mit der ANTON-App gearbeitet und sich in Pandemiezeiten unheimlich viel Mühe gegeben. Im Bereich Digitale Bildung fehlt es schlichtweg auch an Personal: Die Bedarfsdeckungsquote von IT-Lehrern liegt in NRW beispielsweise bei 25 Prozent. Das Schulsystem in Deutschland steht für Konstanz und Ordnung, was leider im aktuellen Verständnis den Kontrapunkt zu Innovation und Entwicklung setzt. Das sind nur einige Beispiele für Nonfits, die digitale Bildung zu einer unglaublichen Herausforderung machen. Die Schule macht einen guten Job, sie wird aber nie in der Lage sein, die Verkürzung der Innovationszyklen vollständig abzubilden. Der Knackpunkt ist für mich folgender: Wir müssen uns davon verabschieden zu sagen, lernen findet in der Schule und nur dort statt. Lebenslanges Lernen darf keine Phrase sein, sondern muss gelebt werden. Wir müssen die Idee des lebenlangen Lernens wörtlich nehmen und mit Inhalten füllen und dazu muss auch die Wirtschaft und die Unternehmen mit einbezogen werden.
Das Verständnis für die Bedeutung der Digitalisierung von Schulen und dass dort etwas passieren muss, ist spätestens coronabedingt definitiv vorhanden, in der Umsetzung haben wir sicherlich noch Herausforderungen.
Tolles Stichwort, da möchte ich Dir direkt die Frage stellen, die Agnes Heftberger von IBM uns für dich mitgegeben hat: Was können wir als Unternehmen der deutschen Wirtschaft tun, um dort wo die Challenge startet – nämlich in der Bildung – schon früh gleichberechtigte Rahmenbedingungen zu schaffen? Es wird ja stets an Politik und Strukturen verwiesen, aber was ist unser Beitrag als Wirtschaft dazu?
Dr. Julia Freudenberg: Macht mit uns gemeinsam Hacker Schools! Auch wenn es unbescheiden klingen mag, ich bin davon überzeugt, dass dies einer der ganz wichtigen Ansätze sein kann, um die Lücken in der digitalen Bildung tatsächlich zu schließen. Die Unternehmen haben die Power, hier einen Unterschied zu machen – und wir haben das Konzept und die Prozesse, wie das „nebenbei“ auch möglich ist.
Viele Frauen und Mädchen scheuen Mathe und Technik. Dir persönlich ging es anders, aber auch bei dir gab es einen Wendepunkt, an dem du an deinem mathematischen Können gezweifelt hast. Warum tun sich Frauen und Mädchen mit der Begeisterung für MINT-Fächer oft schwer und wie können wir daran etwas ändern?
Dr. Julia Freudenberg: Ich bin fest davon überzeugt, dass Kultur das ist, was sich am langsamsten ändert. In den Oststaaten beispielsweise ist die Quote an Frauen in Tech viel höher, will diese Frauen wissen, dass das ein toller, lukrativer Beruf ist und ein Beruf, der den Weg in die Freiheit und Unabhängigkeit bedeutet. Ich habe selbst eine Tochter und merke – mitunter auch bei mir selbst –, wie viele unbewusste geschlechterspezifische Vorurteile bestehen. Ich war lange unangefochten die Beste in meiner Klasse in Mathematik, bis ich den Glaubenssatz gehört habe: Mädchen können nicht rechnen. Das hat mich verunsichert und der Glaubenssatz hat bei mir dazu geführt, dass ich jede Zahl zigmal überprüft habe, somit war das Tempo raus und auch mein Platz an der Spitze in Mathe passé. Diese Glaubenssätze müssen raus – auch aus den Köpfen der Mütter. Ich wünsche mir, dass Mütter eben nicht damit kokettieren, dass sie ja auch kein Mathe können. Dass sie nicht sagen, meine Tochter geht in Sprachklasse, weil da alle Freundinnen hingehen und in der MINT-Klasse nur ein Mädchen ist. Dafür müssen wir die ersten Schritte über Sonderprogramme und spezielle Angebote für Mädchen ermöglichen, damit wir da ein bisschen Tempo auf die Straße kriegen.
Ich bin fest davon überzeugt, dass Kultur das ist, was sich am langsamsten ändert. In den Oststaaten beispielsweise ist die Quote an Frauen in Tech viel höher, will diese Frauen wissen, dass das ein toller, lukrativer Beruf ist und ein Beruf, der den Weg in die Freiheit und Unabhängigkeit bedeutet. I
Da hast Du sicherlich recht. Auch im Bereich Female Empowerment heißt es oft: If she can see it, she can be it. Vorbilder sind also das A und O. Hast Du selbst Vorbilder oder welche Frau in Tech würdest du gerne einmal treffen?
Dr. Julia Freudenberg: Als Erstes fällt mir meine Kindergärtnerin ein. Sie ist natürlich nicht in der Tech-Branche tätig, aber ich habe von ihr etwas ganz Wichtiges gelernt, nämlich für meine Träume einzustehen. Darüber hinaus hatte in letzter Zeit ganz viele tolle Begegnungen mit einigen großartigen Frauen in Tech wie beispielsweise Miriam Wohlfarth, Deepa Gautam-Nigge oder Vera Schneevoigt, die ja auch echte und sichtbare Größen im Tech-Bereich sind. Ich schätze sie alle sehr, da sie sich sehr engagieren, eine unglaubliche Energie mitbringen, sich einsetzen und mit einer unheimlichen Begeisterung im Bereich Digitale Bildung und Women in Tech dabei sind. Sehr gern näher kennenlernen würde ich gern Miriam Meckel und Aya Jaff, beide auf ihre Art unglaublich inspirierende Vorbilder.
Jetzt bist du ja auch selbst ein tolles Vorbild für Frauen. Welchen Karriere-Tipp möchtest du anderen Frauen mit auf den Weg geben?
Dr. Julia Freudenberg: Ich glaube, und das ist nichts Frauenspezifisches, sondern eher etwas typisch Deutsches, dass wir immer eher wissen, was wir nicht wollen und darüber jammern anstatt sich Gedanken darüber zu machen, was wir wirklich erreichen wollen. Am Wichtigsten ist daher aus meiner Sicht: eine Hin-zu-Orientierung zu entwickeln und die Antwort auf die Frage: Was will ich eigentlich erreichen? Weil nur, wenn Du das weißt, kannst du dich dahin gezielt entwickeln und wirst in deinem Job erfolgreich sein.
Am Wichtigsten ist daher aus meiner Sicht: eine Hin-zu-Orientierung zu entwickeln und die Antwort auf die Frage: Was will ich eigentlich erreichen?
Welche Frage möchtest Du uns für unsere nächste Interviewpartnerin mitgeben?
Dr. Julia Freudenberg: Meine Frage lautet: Es gibt eine ganze Reihe an negativen Glaubenssätzen, die Frauen und Mädchen zurückhalten und benachteiligen. Wie können wir als Frauen konkret dazu beitragen, diese Glaubenssätze aufzulösen, umzudeuten und durch neue, positive Glaubenssätze zu ersetzen?
Vielen herzlichen Dank für Deine Zeit und das Interview, liebe Julia!
Für unsere Serie #LIT Ladies in Tech suchen wir weitere spannende Interview-Partnerinnen und -Partner. Kontaktieren Sie uns gerne bei Interesse. Schreiben Sie gerne eine E-Mail an: hanna.vonderau(at)eco.de